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das Spinnen kürzt dann den Frauen nnd Mädchen die langen Winterabende. Um die Unter-
haltung angenehmer zu machen, kommen die Nachbarn in einem der Häuser zusammen;
in diesen Spinnstuben (na priacl^) sprechen dann auch die Bursche vor, die zuletzt
nicht ermangeln, die Mädchen heimzugeleiten. Auch die Leinwand weben an vielen Orten
die Frauen selbst. Zu diesem Behufe stellen sie in einer Ecke der Stube einen Webstuhl auf,
und die Familienglieder lösen sich, je nachdem einer Zeit hat, bei der Arbeit ab, bis der
Garnvorrath aufgearbeitet ist. Früher einmal war die Leinenweberei im Ärvaer Comitat
eine blühende Hausindustrie; die Leiuwand-Slovaken (platennici) aus der Arva
beziehen mit ihren eigenthümlich zusammengestellten Zelten auch jetzt fast jeden Jahrmarkt
im Lande, obgleich heutzutage der größte Theil ihrer Waare gar nicht mehr das Erzengniß
der Ärvaer Weber ist, sondern aus den Webereien Schlesiens und Mährens hervorgeht.
Noch zu Beginn dieses Jahrhunderts machten auch die „Olejkaren" aus dem Türöczer
Comitat gute Geschäfte, indem sie mit Ölen nnd Heilkräutern als Quacksalber das Jn-
nnd Ausland abhansirten. Jetzt ist das verboten.
Die Slovakin versteht sich nicht nur auf das Spinnen und Leineweben, sondern
ist auch mit der Nadel geschickt, wenn sie ihre Wäsche oder den Gürtel zu sticken hat. An
sehr vielen Orten des Oberlandes ist bei dem Volke das Tragen von gestickten Kleidern
allgemein Gebrauch. Wenn die Mntter ihrem Kinde Liebes erweisen oder ein Mädchen
dem Erwählten die Zärtlichkeit ihrer Gefühle kuudthuu will, pflegt sie ihm ein gesticktes
Kleidungsstück oder Tüchlein zu schenken. Eine Mutter, dereu Kind Sonntags nicht in
schön gesticktem Leibel zur Kirche geht, wird gewiß getadelt, und es muß schon sehr wenig
an einem Burschen sein, dessen Hemdärmel nicht mit bunter Stickerei gestickt sind, oder dem
nicht der Zipfel eines hübsch gestickten Sacktuches aus der Tasche guckt. Es ist der höchste
Stolz der Braut, wenn sie ihre tulpenbemalte Truhe mit gestickten Schürzen vollgepackt
weiß, und das liebste Geschenk ist ihr eine zierlich gestickte Haube. Diese Stickereien
bilden die einzige, aber werthvolle Zierde der oberländischen Volkstracht. Mitunter
ist es völlig zum Staunen, mit wie viel Mühe und Ausdauer, aber auch wie fröhlich
und gern sie ihrer Handarbeit obliegen. Selbst die Geschicktesten und Fleißigsten arbeiten
monatelang an einem Stücke. Darum darf es auch nicht wundernehmen, wenn sie ihre
Arbeit so hoch bewerthen und für ein gesticktes Vortuch oder Tüchlein oft einen fabelhaften
Preis fordern. Sie verwenden gewöhnlich weiße Leinwand und farbige Wolle oder Seide
und sticken allerlei geometrische Figuren, ohne jede Vorzeichnung, blos indem sie die Fäden
der Leinwand auszählen; indeß sticken sie auch nach Vorzeichnung verschiedene Thier- und
Pflanzenformen, die sie mit sogenaunter ^our-Arbeit (lirackovina) verzieren. In diesen
Stickereien bekundet das Volk Geschicklichkeit, einen gewissen Grad von Geschmack nnd
scharfe Beobachtungsgabe; auch beweist die Symmetrie der Figuren, daß die oberländische
Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
Ungarn (5), Band 18
- Titel
- Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
- Untertitel
- Ungarn (5)
- Band
- 18
- Herausgeber
- Erzherzog Rudolf
- Verlag
- k.k. Hof- und Staatsdruckerei, Alfred von Hölder
- Ort
- Wien
- Datum
- 1898
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 15.02 x 21.71 cm
- Seiten
- 462
- Schlagwörter
- Enzyklopädie, Kronländer, Österreich-Ungarn
- Kategorien
- Kronprinzenwerk deutsch