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eine Hirtenscene, welche dem Giorgione zugeschrieben wird. So erzählen der Reihe nach
die Häuser des Ringplatzes dem Wanderer von der Vergangenheit, indem sie manchmal
ihre schönen Vorhallen seinen Blicken zeigen oder ihm gestatten, dnrch das geöffnete Thor
den von Arcaden umgebenen Hofraum zu erblicken.
Aber am meisten hat wohl die Tuch Halle (3ukienniee) zu erzählen. Auch sie reicht bis
zum Privileg Bvleslaus des Schamhaften aus dem Jahre 1257 zurück, auch sie hat eine
ganze Reihe von Veränderungen durchgemacht. Sie bestand anfänglich aus zwei Reihen von
Kanfläden und wurde endlich eine der merkwürdigsten nnd charakteristischesten Bauten der
Stadt. Vor zwanzig Jahren restanrirt, besitzt die Tnchhalle heute schöne gothische Lauben,
und wenn sie auch Spuren der verschiedensten Epochen der Baukunst an sich trägt, so sind
diese Bruchstücke doch so zusammengestimmt, so innig untereinander verbunden, daß der
Bau mit seiner Attica, seinen steinernen phantastischen Masken, Phialen, der gothischen
Bogenwölbung seiner Krenzgänge und seinen Kapitälen, welche nach Matejkos Zeichnung
gemeißelt wurden, ein vollständiges, ineinander fließendes, krakauisches Ganzes darstellt.
Im Mittelraum erstreckt sich von einem Ende zum anderen eine lange, mit einem Tonnen-
gewölbe gedeckte Halle, welche zn beiden Seiten mit Kramläden besetzt, von Leben und
Bewegung der Käufer, von den Anpreisungen der Verkäufer wiederhallt. Hier haben zn
verschiedenen Zeiten Festlichkeiten stattgefunden, und die Erinnerung an einige derselben
dauert bis auf den hentigen Tag. Hier begrüßte man im Jahre 1809 den Prinzen Josef
Poniatowski, den Anführer der napoleonischen Armee; das letztemal wurde dieses Innere
in einen Ballsaal verwandelt, als im Jahre 1880 Seine Majestät Kaiser Franz Joseph
hier weilte. Im ersten Stockwerke des Baues sind zwei artistische Institute unter-
gebracht. Das eine ist der alte und hochverdiente Kunstverein, das zweite, jüngere
Institut entstand im Jahre 1879 dank der Opferwilligkeit des in Rom lebenden
weithin berühmten Malers Heinrich Siemiradzki. Im Nationalmuseum häufen sich immer
mehr und mehr Werke polnischer Kunst aus Vergangenheit und Gegenwart; bietet auch
die Sammlung nicht hinlänglich viel, um die ganze historische Entwickelung oder das
volle Aufblühen der polnischen Malerei zu würdigen, so findet doch der Kunstfreund in
den ausgestellten Gemälden und Skulpturen, in den vorhandenen Gemmen nnd Cameen,
in Orgiualeu und Abgüssen der in Polen geschaffenen Plastik des Mittelalters nnd der
Renaissance, sowie in den kirchlichen Malereien der Rnthenen reichen Stoff anziehender
Belehrung.
Unweit der Tuchhalle ragt ein Thurm empor, der einzige Überrest des zerstörten
Rathhauses. Verschwunden sind die weitläufigen Gebäude, welche sich ehemals — noch zu
Beginn des XIX. Jahrhunderts — in seiner Nähe befanden, verschwunden die meisterhaft
verfertigte Uhr, an der nach mittelalterlichem Brauch allegorische Figuren hervortraten.
Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
Galizien, Band 19
- Titel
- Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
- Untertitel
- Galizien
- Band
- 19
- Herausgeber
- Erzherzog Rudolf
- Verlag
- k.k. Hof- und Staatsdruckerei, Alfred von Hölder
- Ort
- Wien
- Datum
- 1898
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 16.48 x 22.34 cm
- Seiten
- 920
- Schlagwörter
- Enzyklopädie, Kronländer, Österreich-Ungarn
- Kategorien
- Kronprinzenwerk deutsch