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In der Stadt, die zu den ältesten in Ostgalizien gehört, fesselt vor Allem das kleine,
aber reizende, im edelsten Barockstil gehaltene Rathhaus unsere Aufmerksamkeit. Es wurde
in der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts von Nikolaus Potocki, dem Starosten von
Kaniöw — daher auch kurzweg Kaniowski genannt — erbaut. Er war auch der letzte, der
das Schloß in Bnezaez bewohnte. Was die Stürme der Türken in den Jahren 1672 und
1676 nicht vermochten, hat der nagende Zahn der Zeit in einem einzigen Jahrhundert
zustande gebracht: das mächtige, bereits im XIV. Jahrhunderte gegründete Schloß ist
Ruine geworden. Auch die hübsche römisch-katholische Kirche, ferner das schön auf dem
Hügel gelegene Basilianerkloster mit der griechisch-katholischen Kirche, dann die im
griechischen Stil gehaltene Pokrowakirche (Pokrowa — Schutz) verdanken ihre Entstehung
der Liberalität des Starosten. Wenn wir noch dazu das im Jahre 1652 gegründete
Dominicanerkloster, die St. Nikolauskirche, mit ihren schönen Bildern aus dem
XVIII. Jahrhundert, endlich die kleine aus dem XVII. Jahrhundert stammende Kirche in
der Vorstadt Nagorzanka aufzählen, so haben wir noch keineswegs die Liste der Denkmäler
dieser interessanten, circa 11.00(1 Einwohner zählenden Stadt erschöpft.
Nicht minder interessant als die Stadt selbst ist die Umgebung derselben. Wenn wir
im Süden das Plateau besteigen, befinden wir uns unmittelbar in einem alten Bnchen-
walde. Eine Klosterruine (das sogenannte alte Basilianerkloster), anf deren zerfallenen
Manern hundertjährige Bäume wachsen, fesselt unsere Aufmerksamkeit. Zu unseren Füßen
gähnt ein Abgrund, in dessen Tiefe die ruhige Strypa ihre Fluten rollt. Kaum 100 Meter
breit ist diese tiefe Erosionsschlucht, die mit ihren rothen, fast senkrechten 60 bis 70 Meter
hohen Wänden in der freundlichen Umgebung des grünen Waldes sich wunderbar schön
ausnimmt.
Auf unseren Reisen in der weiten, großen Welt haben wir bereits etwas Ähnliches,
allerdings in viel größerem Maßstabe gesehen. Das gähnende Thal zu unseren Füßen ist
ja doch nichts anderes als die Miniatur der nordamerikanischen CaNons. Der Arkansas,
der Jellowstone und viele andere, vor Allem aber der Coloradoriver fließen in solchen
tiefen Erosionsthälern mit steilen Ufern. Allerdings reicht die Höhe solcher Uferwände in
Amerika in Hunderte, ja Taufende von Metern, doch theoretisch ist das dieselbe
Erscheinung, die wir in verkleinertem Maßstabe an podolischen Flüssen sehen.
Wir sind überwältigt von der Großartigkeit der Erscheinung. Zwar sehen wir im
Hochgebirge, auf einem erhabenen Gipfel stehend, viel tiefere Thäler nnd viel mächtigere
Felswände, aber der Eindruck ist doch anders. Es kommt uns ganz selbstverständlich vor,
dort, wo es hohe Berge gibt, anch tiefe, dazu gehörige Thäler zu erwarten. Daß aber
eine glatte uud scheinbar ununterbrochene Ebene plötzlich und unerwartet einen tiefen Riß,
einen Abgrund zeigt, das ist überwältigend. Der Laie ist gerne geneigt eine furchtbare
Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
Galizien, Band 19
- Titel
- Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
- Untertitel
- Galizien
- Band
- 19
- Herausgeber
- Erzherzog Rudolf
- Verlag
- k.k. Hof- und Staatsdruckerei, Alfred von Hölder
- Ort
- Wien
- Datum
- 1898
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 16.48 x 22.34 cm
- Seiten
- 920
- Schlagwörter
- Enzyklopädie, Kronländer, Österreich-Ungarn
- Kategorien
- Kronprinzenwerk deutsch