Seite - 66 - in Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild - Galizien, Band 19
Bild der Seite - 66 -
Text der Seite - 66 -
66
Hinter der Station Lubieuce sehen wir die beiden Ufer des Stryjflnsses sich langsam
erheben. Mit jedem Schritt wird die Gegend anmuthiger. Steile Felspartien, die sich
ruinenartig über dem klaren Strome erheben, dunkle Tannenwaldungen, lachende grüne
Bergwiesen und schäumende Bäche folgen in angenehmer Abwechslung. Noch eine dröhnende
Fahrt über die Stryjbrücke, noch ein kurzes Verschwinden in den Eingeweiden der Erde in
einem kleinen Tunnel, und unser Zug gleitet langsam in die Station Synowödzko:
wir halten unseren Einzug in die Karpathen.
Es ist zwar kein wildromantisches Gebirgspanorama, das sich vor unserem
Blicke entfaltet, es gibt da keine Schneefelder, keine Gletscher und keine schroffen zerrissenen
Zinken und Nadeln, aber wir müssen doch gestehen, daß die Gegend schön, sehr schön ist.
Die klare bläuliche Luft umgibt Alles mit einem unaussprechlichen Zauber, die Berge
scheinen in einem saphirartigen Äther zu schwimmen. Die breite, üppige Alluvialebene der
beiden vereinigten Flüsse: des Stryj und Opor, ist von allen Seiten von Bergen umrandet.
Wie ein Wall erhebt sich im Hintergründe die Paraszka-Zetemin-Kette, deren Spitzen
die Höhe von über 1200 Metern erreichen. Große dunkelgrüne Tannenwaldungen bedecken
ihre Böschungen und nur die höchsten Gipfel ragen mit ihren üppigen Almen baumlos in die
klaren Lüfte empor. Mächtige Gebirgsäste entspringen der Hauptkette und senden ihre
bewaldeten Ausläufer weit in die Ebene hinein. Längs der rauschenden Ströme erheben sich
steile, durch die Erosion des Wassers entblößte Steinwände oder lachen üppige Wiesen und
bebaute Felder uns entgegen. Es zieht uns unwiderstehlich auf die Berge, auf die Almen,
wir sind ungeduldig das ganze Bild mit einem Blick zu überschauen und dem entfernten
Podolien, das wir so liebgewonnen haben, den letzten Gruß von der luftigen Höhe
zuzusenden.
Wir verlassen die Bahn und begeben uns längs des Stryjflnsses nach Korczyn,
einer kleinen Ortschaft, die als klimatischer Enrort von Sommerfrischlern besucht wird.
Von hier aus führt der Weg an dem Ufer eines kleinen Baches, der seine Quellen hoch
auf den Abhängen der Hauptkette hat. Ein herrlicher Urwald umgibt uns von allen Seiten.
Mit wahrer Wollust schlürfen wir den köstlichen würzigen Tannenduft, und vermindert
blicken wir auf die undurchdringlichen Dickichte, in denen die morschen, durch die Wind-
brüche gefallenen Baumstämme, das Jungholz und die lebenden hoch aus dem Waldes-
zwielicht zur Sonne emporgeschossenen Tannen ein wildverschlungenes, schier unentwirr-
bares Knäuel bilden. Die nassen Stellen an den Bächen sind mit Riesenblättern von
Huflattich bedeckt, auf den Lichtungen der Waldwiesen verbreitet der harzige Salbei seine
aromatischen Düfte und die schlanke Königskerze leuchtet mit goldgelben Blüten.
Vorsichtig schreiten wir vorwärts, denn wie leicht könnte uns der braune Bär aus
seinem Versteck entgegentreten, eine Begegnung, die zwar ungefährlich, aber nichts weniger
Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
Galizien, Band 19
- Titel
- Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
- Untertitel
- Galizien
- Band
- 19
- Herausgeber
- Erzherzog Rudolf
- Verlag
- k.k. Hof- und Staatsdruckerei, Alfred von Hölder
- Ort
- Wien
- Datum
- 1898
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 16.48 x 22.34 cm
- Seiten
- 920
- Schlagwörter
- Enzyklopädie, Kronländer, Österreich-Ungarn
- Kategorien
- Kronprinzenwerk deutsch