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Hinter der Mundung des Jlciabaches verengt sich das Thal und wird wildromantisch.
Steile, bewaldete Wände unirahmen die reißenden Fluten, die durch wilde Cascadeu und
schänmende Stromschnellen ein starkes Gefälle verrathen. Wir verlassen das Hauptthal und
begeben uns in das Thal des Nebenbaches Bystrzec. Zwischen den Buchen- und Tannen-
waldungen erheben sich die Schichtenköpfe der oligocänen Sandsteine, an die sich die
Huzulenhütten — wie die Schwalbennester an die Mauer — anschmiegen. Nur selten
genießen wir durch die Waldlichtung den Anblick eines der mächtigen Gipfel der
Czarnohora, die in unerreichbarer Ferne zu liegen scheint, da unser Ritt bereits den
größten Theil des Tages beanspruchte und noch immer kein Ende nehmen will.
Wir steigen langsam, aber stetig in die Höhe. Es wird schon finster, als wir endlich
eine Almhütte auf der Polonina (Alm) „Gadzyna" 1300 Meter über dem Meere erreichen.
Die Gastfreundschaft ist eine der Haupttugenden des Huzulen — wir werden herzlich
aufgenommen und erhalten ein Nachtlager in der Sennhütte. Die letztere stellt einen luftigen
Bau aus Tannenreisig dar und gewährt mit ihren Ajonrwänden nur mäßigen Schutz gegen
Wind und Nachtkälte. Der mächtige Feuerherd in der Mitte spendet jedoch angenehme
Wärme, die uns den belästigenden Rauch vergessen macht. Der brodelnde, über dem
Feuer aufgehängte Kessel und die braunen auf den Wandpnlten aufgeschichteten Schafkäs-
leibe versprechen uus ein kräftiges Nachtmahl. Und in der That! Im Nu ist der duftende
Maisbrei (Polenta), das Hauptnahrungsmittel der hiesigen Bevölkerung, fertig. Mit
Bryndza und Speck zubereitet mundet er uns vortrefflich And kräftigt für die Anstrengungen
des morgigen Tages. Auf duftendem Heulager hingestreckt lauschen wir begierig den
Geschichten über den weiland großen Räuberhauptmann Dobosz, eine Art huzulischen
Rivaldo Rinaldini und bewundern die ausdrucksvollen Gesichter der Huzulen, die in der
grellen Beleuchtung und dem dunklen Hintergründe ein Bild darstellen, das des Pinsels
eines großen altflämischen Meisters würdig wäre. Der melancholische Klang der
Trombite lnllt uns in den Schlaf ein; wir verbringen eine ruhige Nacht und eilen mit
Tagesanbruch ins Freie. Ha, welch ein Anblick! .. .
Ein mächtiger felsenstrotzender Kessel umgibt uns von allen Seiten. Zu unserer
Rechten erhebt sich die bewaldete Mariszewska (1564 Meter), znr Linken das wild-
romantische Steinmeer der Szpyei (1866 Meter) und gerade vor uns thront der
schöne, kegelförmige, höchste Gipfel der Czarnohora: die Howerla (2058 Meter). Die
Waldungen der tieferen Regionen schlummern noch in violetter Finsterniß, aber die
mächtigen Spitzen baden bereits in purpurnen Strahlen der Morgenröthe!
Wir befinden nns im Quellengebiete des Pruthslnsses; — die kleinen Bäche, die
zu unseren Füßen ihr Morgengebet murmeln, bilden den Anfang des Gebirgsstromes.
Wahrhaftig, eine schöne nnd eines solchen Stromes würdige Wiege! Es ist ein förmliches
Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
Galizien, Band 19
- Titel
- Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
- Untertitel
- Galizien
- Band
- 19
- Herausgeber
- Erzherzog Rudolf
- Verlag
- k.k. Hof- und Staatsdruckerei, Alfred von Hölder
- Ort
- Wien
- Datum
- 1898
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 16.48 x 22.34 cm
- Seiten
- 920
- Schlagwörter
- Enzyklopädie, Kronländer, Österreich-Ungarn
- Kategorien
- Kronprinzenwerk deutsch