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Amphitheater, das die Quellen birgt. In riesigen Felstreppen steigt das Terrain gegen den
Hauptstamm und die beiden Ausläufer der Czaruohora hin und wird südlich durch die
steile Felspartie der Szpyei abgeschlossen. Hohe, phantastisch geformte und senkrecht stehende
Steintafeln erheben sich gigantischen Coulissen gleich im Hintergrunde. Die zahlreichen
Felsblöcke, die den Boden des Amphitheaters bedecken, erinnern an ähnliche Werke der
Menschenhand, die durch den nagenden Zahn der Zeit theilweise zerstört wurden.
Wir lassen unsere Pferdchen zurück und beginnen zu Fuß die Erklimmung des
höchsten Gipfels der Czarnohora. An die Stelle der Rothtanne, die immer mehr verkrüppelt
nnd endlich ganz verschwindet, erscheint in der Höhe zwischen 1400 und 1700 Meter die schöne
Zirbelkiefer und das Krummholz. Diese beiden Baumgattungen bilden keine ununterbrochenen
Waldbestände, sondern werden häufig durch die grasreichen Almen unterbrochen. Das ist
die eigentliche Region der Almen, denn die höchsten Gipfel ragen entweder nur als nackte
oder als moos- und flechtenbedeckte Felsen in die Lüfte. Eine herrliche Flora entzückt unsere
Augen. Da ist der rothe Rhododendron, die weiße Azalee, der bunte Fingerhut, die Aruiea,
die Anemone und Geranie, verschiedene Primulen und Saxifragen und viele, viele andere.
Wir steigen auf dem steilen, aber ziemlich bequemen Pfade rüstig vorwärts und verlassen
bald das Krummholzgebiet. Weiter oben werden die höher organisirten Pflanzen seltener
und macheu den Moosen und Flechten Platz. Endlich wird die bequeme, einige Quadrat-
Klafter umfassende Spitze erreicht, und wir bewundern die prachtvolle Aussicht, die sich
ringsherum zu unseren Füßen entfaltet. Vor Allem interefsirt uns die Czarnohora selbst
und wir trachten uns in dieser Beziehung zu orieutiren.
Die „Czarnohora" (der schwarze Berg), die höchste Kette der ostgalizischen
Karpathen, stellt sich als ein 20 Kilometer langer, von Nordwesten nach Südosten
streichender Kamm dar, aus dem eine Anzahl schön geformter Gipfel in die Höhe schießt. Die
Howerla, auf der wir uns befinden, bildet den höchsten und den westlichsten, dann folgt
Dancerz (1822 Meter), Turkut (1935 Meter), die felsigen Szpyei (1866 Meter), Gutin
Tomnatek (2018 Meter), Munezel (2002 Meter) und endlich der kegelförmige, steinige
Pip Iwan (2026 Meter). Dem nordöstlichen Abhang dieser Bergkette entspringen zahlreiche
Quellen als erste Anfänge des Pruth- und Czeremoszslusses. Es ist eine ausfallende Thatsache,
daß die amphitheatralifche Gestalt des Quellengebietes, die wir bereits bei den Pruth-
qnellen kennen zu lernen Gelegenheit hatten, sich hier einige Male wiederholt und somit
ein charakteristisches landschaftliches Merkmal der Czarnohora bildet. So erblicken wir
westlich von den Szpyci die sogenannten Rebra (Rippen), eine Gruppe steil aufgerichteter
tafelförmiger Felsen und am Fuße des Munezel wiederholt sich das ganze felsige Amphi-
theater. Besonders merkwürdig sind die wilden Kizie utohy und das Quellengebiet des
Dzembroniabaches. In solchen Quellenmulden bleibt oft der Schnee das ganze Jahr
Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
Galizien, Band 19
- Titel
- Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
- Untertitel
- Galizien
- Band
- 19
- Herausgeber
- Erzherzog Rudolf
- Verlag
- k.k. Hof- und Staatsdruckerei, Alfred von Hölder
- Ort
- Wien
- Datum
- 1898
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 16.48 x 22.34 cm
- Seiten
- 920
- Schlagwörter
- Enzyklopädie, Kronländer, Österreich-Ungarn
- Kategorien
- Kronprinzenwerk deutsch