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Unser zweiter Ausflug gilt dem im ganzen Lande berühmten und von den Dichtern
oft besungenen Koäcielisko-Thale, in dem der schwarze Dunajec seine Fluten sammelt.
Wir begeben uns zuerst nach Westen und später bei dem eocäueu Nummuliteu-
Kalkfelsen nach Süden, den schäumenden Dunajec hinauf. Durch die großartige Felspforte,
die zu Ehren des polnischen Abgeordneten im preußischen Landtage Kazimir Kantak den
Namen Kautakpsorte trägt, gelangen wir auf eine blumenreiche Wiese, zu deren beiden
Seiten die schroffen Abhänge der Konezysta und der Kopka einen phantastischen Rahmen
des unten so lieblichen Bildes aufbauen. Ein schöner, alter Lindenhain bildet eine auf-
fallende Abwechslung aus unserer Wanderung und gleich dahinter ladet uns die sogenannte
Eisquelle , deren Temperatur auch im Hochsommer nur 3 bis 4 Grad Reanmur beträgt,
zur Rast ein, da die weitere Excursiou nur zu Fuß zurückgelegt werden kann. Eine
Thalverengung, die „Kraszewski-Pforte", die mit einer marmornen Gedenktafel zu Ehren
des polnischen Schriftstellers Kraszewski geschmückt ist, führt uns in die Zauberschlucht,
deren wildromantische Natur jeder Beschreibung spottet.
Von den steilen Gehängen des Ezerwony Wierch und der Komiuy eingeengt, windet
sich das Thal mit dem schäumenden Fluß zwischen den abenteuerlich geformten Felsen, die
aus der dunkelgrünen Tannenwildniß in die blauen Lüfte hinaufragen und alle möglichen
Gestalten nachahmen. Da ist die steinerne Rieseneule, die so klug und ernst auf uns
herniederblickt, da sind die Orgeln, in denen der Wind in einem feierlichen Choral der
Natur huldigt, da dräuen gespensterartig die Räuberfenster und erheben sich geisterhaft
die Zauberschlösser mit Erkern und Basteien. . . Noch einige Schritte weiter und es tritt
uns eine ganze Felsenstadt entgegen. Die lebhafte Einbildungskraft des Volkes sieht in ihr
die Nachbildung von Krakau, es fehlen da weder das Königsschlos; Wawel noch das
Rathhaus, noch die zahreichen Kirchthürme der uralten Stadt an der Weichsel. Nur die
Straßen dieser Felsenstadt sind etwas mehr vernachlässigt als die ihrer Namensvetterin,
denn sie dienen gleichzeitig als Flußbett während des Hochwassers, so daß man zwischen
Steinblöcken, Baumstrünken und Schutt kaum durchzukommen vermag.
Wir eilen weiter. Aus gähnendem felsigem Abgrund stürzt uns ein reißendes Gewässer
entgegen. Es ist keine Quelle, sondern ein unterirdischer Bach, der hier nach einer ver-
borgenen Wanderung in den Höhlen wieder ans Tageslicht tritt. Wir verewigen unseren
Namen auf einige Jahrzehnte auf der ganz mit Inschriften bedeckten Steinwand Pisana
nud nähern uns rasch dem oberen Thalende.
Die mächtigen Felsgrate Raptawica und die Komiuy bilden die Staffage der
Hochgebirgswildniß, in die wir jetzt eintreten. Das dem Andenken des polnischen Dichters
und Naturforschers Vineenz Pol gewidmete Kreuz mit der einfachen, aber ausdrucksvollen
Inschrift: „Und nichts über Gott", bezeichnet unseren Weg in das Gebiet der Wasserfälle.
Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
Galizien, Band 19
- Titel
- Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
- Untertitel
- Galizien
- Band
- 19
- Herausgeber
- Erzherzog Rudolf
- Verlag
- k.k. Hof- und Staatsdruckerei, Alfred von Hölder
- Ort
- Wien
- Datum
- 1898
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 16.48 x 22.34 cm
- Seiten
- 920
- Schlagwörter
- Enzyklopädie, Kronländer, Österreich-Ungarn
- Kategorien
- Kronprinzenwerk deutsch