Seite - 96 - in Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild - Galizien, Band 19
Bild der Seite - 96 -
Text der Seite - 96 -
96
Stirnmoränen vcrqneren die Thäler und sperren sie als natürliche Dämme ab, so daß auf
diese Weise die Bedingung zur Bildung der Seen geboten wird.
Es gibt in der Tatra circa 120 größere und kleinere Seen, die auf der galizischeu
Seite den Namen „Stawy" (Teiche), auf der ungarischen, bei den Slovaken den Namen
„Plesi" tragen und ziemlich hoch zwischen 1400 bis 2000 Meter gelegen sind. Einige von
ihnen überschreiten die letztgenannte Höhe und sind in diesem Falle das ganze Jahr hindurch
an ihrer Oberfläche mit einer Eisdecke überzogen.
Der größte See, der auf der polnischen Seite gelegene „Wielki staw" (Großer
Teich) umfaßt einen Flächenraum von 34 Hektar und ist 78 Meter tief. Der schöne Schwarze
Raupensee, den wir gerade bewundern, ist sowohl in Bezug auf das Areal (23 Hektar) als
auch die Tiefe (47 Meter) der dritte in der Reihe dieser herrlichen Tatra-Objecte.
Wir verlassen nun den Raupensee und beginnen an seinem östlichen Ufer den
Hauptkamm, und zwar den sogenannten Zawrat zu erklimmen. Hoch über unseren Hänptern
erhebt sich eine riesige Felsenkluft, zu der ein sehr beschwerlicher Weg über bewegliche
Schutthalden führt und die das vorläufige Ziel unserer Wanderung bildet.
Weit in der Tiefe hinter uns erblicken wir den „Gefrorenen Teich", einen kleinen,
aber hochgelegenen See, auf dessen Oberfläche auch jetzt im Hochsommer Eisschollen
schwimmen, aber in unserer unmittelbaren Nähe ist jede Aussicht versperrt, da wilde,
schroffe Felswände zu unseren beiden Seiten wie gigantische Mauern in die Höhe ragen.
Es ist ein schrecklicher Marsch. Von Zeit zu Zeit gleiten unter unseren Füßen Felsblöcke
aus der Schutthalde aus und stürzen kleinen Lawinen gleich donnernd in die Tiefe. Ein
beängstigendes Gefühl bemächtigt sich unser. Wir sehnen uns nach Licht und Lnft. Doch
endlich ist die Felsenkluft erreicht, wie aus dem dunklen Verließ einer Raubritterburg
befreit, athmen wir auf und begrüßen das schöne Gebirgspanorama, das sich so uuvermuthet
und in auffallendem Contraste vor unseren Augen entfaltet. Zu unseren Füßen liegt das
wildromantische Thal der „Fünf Seen", von denen jedoch nur zwei sichtbar sind, und
hinter demselben erscheinen die uns bereits bekannten Riesen der Tatra.
Wir gelangen in das Thal. Nach und nach werden sämmtliche fünf Seen sichtbar,
endlich erscheint auch das Krummholz und mit ihm auch die dunklen Fluten des „Laarny
swvv" (Schwarzen Teiches). Längs des nördlichen Ufers desselben gelangen wir bald in
das Zeuschner Schntzhans des Tatravereines und von hier in 15 Minuten zu eiuem neuen
Tatrawnnder, zu der berühmten Siklawa.
Von einem senkrechten, 98 Meter hohen Felsen stürzt der Abflußbach des Großen
Teiches in die Tiefe und bildet somit den höchsten Wasserfall nicht nur in der Tatra,
sondern auch in ganz Galizien. In zwei erodirten Rinnen schänmt und donnert die weiße,
wie mit grünen Bändern durchzogene Wassermasse. Die herumsprühenden Tropfen glitzern
Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
Galizien, Band 19
- Titel
- Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
- Untertitel
- Galizien
- Band
- 19
- Herausgeber
- Erzherzog Rudolf
- Verlag
- k.k. Hof- und Staatsdruckerei, Alfred von Hölder
- Ort
- Wien
- Datum
- 1898
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 16.48 x 22.34 cm
- Seiten
- 920
- Schlagwörter
- Enzyklopädie, Kronländer, Österreich-Ungarn
- Kategorien
- Kronprinzenwerk deutsch