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Gebieten. Das sociale Gebilde des lithauischen Reiches war hier ans dem Principe der
Abhängigkeit ausgebaut, welche sich in den unteren Schichten sogar bis zur vollständigen
Knechtschaft steigerte. Der Landesherr war noch Eigenthümer des ganzen Grund und Bodens
geblieben, den er als einen durchwegs abhängigen Besitz einzelnen Großen überließ,
welche auf dieselbe Weise die gesellschaftlich niedriger gestellten Schichten belehnten. Die zwei
politischen Stützen des polnischen Reiches, die begüterte Geistlichkeit und der mittlere
Landadel, fehlten dort gänzlich, auch gab es keine autonomen Städte. Zwei Staatswesen
von so verschiedener socialer Gliederung konnten daher unmöglich einen mehr als äußeren
Bund eingehen. Jagielto sah sich gezwungen, die Regierung in Lithauen zuerst seinem
Bruder Skirgielto, dann seinem Vetter Witold zu überlassen, demselben sogar den Titel
eines Großfürsten zu gewähren und sich nur mit der Oberhoheit zu begnügen. Beide Reiche
behanpteten ihre vollständige Selbständigkeit im Innern und waren nur auf gegenseitige»
Schutz und Hilfeleistung angewiesen. Das Bündniß, welches sie eingegangen waren,
verschaffte ihnen jedenfalls mehr Sicherheit nach anßen und verbürgte im Innern eine
stetige und rasche Entwickelung.
Der erste große Kampf, der gemeinschaftlich unternommen werden mußte, war
gegen die Tataren gerichtet. Witold, als Herrscher von Lithauen, wollte durch einen
kühnen Zug die Macht derselben brechen, ihren unausgesetzten Einfällen Einhalt gebieten
nnd die südlichen Provinzen seines Reiches bis an ihre natürliche Grenze, das Schwarze
Meer, ausdehueu. Das lithauische Heer wurde durch ein herrliches, nach westeuropäischer
Art gerüstetes Hilfsheer der Pole» verstärkt, erlag aber trotzdem der Übermacht der Tataren
in der Schlacht an der Worskla im Jahre 1399. Das erwünschte Ziel wnrde somit
nicht erreicht, und die Tataren, welche sich in der Krim ansäßig gemacht hatten, blieben »och
jahrhundertelang eine schreckliche Plage der südlichen Provinzen des Reiches, sie wagten es
aber nicht mehr nach der Herrschaft über diese Provinzen zu streben. Vielmehr beginnt eben
seit dieser Zeit das christliche Element gegen Osten vorzudringen; ncne Ansiedlnngen werden
angelegt und immer mehr gegen Süden vorgeschoben, zu ihrem Schutze werden Burgen
gebaut, unternehmende Geister nuter dem polnischen Adel setzen sich in diesen Gegenden fest,
ziehen aus den inneren Provinzen des Reiches Colonisten an sich und gründen in früher ganz
ödcn Gegenden mitunter große Latifundien. Im Osten der rothrnthenischen Fürstenthümer
längs des Dniestr, entsteht nach nnd nach eine neue, rasch aufblühende Provinz: Podolien.
Viel schwieriger gestaltete sich für Polen und Lithauen die Lösung der zweiten
gemeinsamen Ausgabe ihrer äußeren Politik, der Kampf mit dem Orden. Mehr als
zwanzig Jahre nach der Berufung Jagieltos zum Könige von Polen wurde der Friede
zwischen Polen nnd dem Orden nicht gestört. Beide Mächte ränmten verschiedene kleine
Anlässe znm Streite aus dem Wege, in dem Bewußtsein, daß der Entscheidnngskampf
Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
Galizien, Band 19
- Titel
- Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
- Untertitel
- Galizien
- Band
- 19
- Herausgeber
- Erzherzog Rudolf
- Verlag
- k.k. Hof- und Staatsdruckerei, Alfred von Hölder
- Ort
- Wien
- Datum
- 1898
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 16.48 x 22.34 cm
- Seiten
- 920
- Schlagwörter
- Enzyklopädie, Kronländer, Österreich-Ungarn
- Kategorien
- Kronprinzenwerk deutsch