Seite - 279 - in Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild - Galizien, Band 19
Bild der Seite - 279 -
Text der Seite - 279 -
279
Wald begann wie unter einem Sturmwind zu schaukeln und erbrauste fürchterlich.
Die Soldaten blieben mittlerweile am Waldesrande stehen. Als sie anfingen Umschau zu
halten, was sie denn abschneiden sollten, da hörten die Bäume gar auf zu brausen, da Angst
ihnen den Athem benahm. In einiger Entfernung stand ein Eichenbaum in grauem Mantel,
gleichsam der Beherrscher des Waldes. Der konnte den Schmerz nicht aushalten und rief:
„Menschen, Menschen! was habt ihr doch für steinerne Herzen, daß ihr Euren Erlöser und
Schöpfer kreuzigen wollt!" „Aus dem da wird das Kreuz gemacht!" riefen die Soldaten
und begannen ihn zu fällen. „Gott, mein Gott!" rief der Eichbaum, „erbarme dich meiner!"
„Du mußt mit mir gehen!" rief eine Stimme vom Himmel hinab, „dafür wirst du große
Kraft und ein langes Leben erlangen." „Gott, mein Gott! erbarme dich meiner!" „Du mußt
mit mir gehen, auf daß erfüllet werde das Wort der Propheten, und auf daß die Welt erlöset
werde." „Erbarme dich meiner, o Herr, denn ich bin nicht würdig, deinen heiligen Leib zu
tragen!" „Unergründlich, aber auch unabänderlich sind Gottes Beschlüsse."- „Gott, mein
Gott! nicht mein Wille, sondern dein heiligster Wille geschehe!" rief der Eichbaum und
fiel stöhnend zur Erde nieder. Ganz nahe an der Eiche stand eine Espe. Sie gefiel den
Soldaten, denn sie sah wie eine Dame aus unter den ländlichen Bäumen. Die Espe erbebte
an allen Gliedern und vermochte kaum: „Heiligste Gottesmutter, rette mich!" hervor-
znlispeln. Die Mutter Gottes hatte Erbarmen mit ihr. „Ihr Holz ist zu weich", bemerkten
die Soldaten und gingen weiter. Aber die arme Espe war so erschrocken, daß sie seit jener
Zeit zittert und mit den Blättern lispelt, wenn auch kein Wind zu verspüren ist.
Neben der Espe stand eine geschmeidige Haselnußstaude, gleichsam die Tochter neben der
Mutter. Diese schüttelte sich ganz, als sie hörte, um was es sich handle und weinte schwere,
große Thränen. Die Soldaten schnitten sie ab und machten ein Scepter für den Herrn
Jesu daraus. Das arme Ding flehte wie es nur konnte, allein des Herrn Beschlüsse mußten
erfüllt werden. Zum Andenken an ihre inbrünstigen Thränen hieß Gott sie ihre Früchte, die
Haselnüsse, tragen. Nicht weit davon stand eine schlanke, hohe, stämmige Buche im weißen
Gewände, gleichsam ein Bauer im Leinwandkleide. Als die Soldaten angefangen hatten, die
Eiche zu fällen, da versuchte es die Buche, sich von der Erde loszureißen, über sie zu fallen
und sie mit ihrem ungeheuren Leibe und ihren harten Ästen zu zerschmettern. Sie konnte
sich jedoch nicht von der Erde losmachen; da hörte ihr das Herz fast zu schlagen auf, sie
wurde nur bleich und verstummte. Erst als die Soldaten das junge Haselholz zu schneiden
begannen, kreischte sie auf: „Schufte! — auch dieses arme Diug verschont ihr nicht!" Da
erblickten die Soldaten die Buche. „Das gibt gute Pflöcke, um das Kreuz zu stützen",
sagten sie und fingen an, sie abzuhauen. „Jesus, Maria und Joses!", schrie die Bnche und
fiel umgehauen zu Boden. Neben der Bnche stand die bäuerliche Birke, die konnte kein Wort
hervorbringen, sie zog nur ihre Zweige an sich, als sollte sie in's Grab steigen und flüsterte,
Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
Galizien, Band 19
- Titel
- Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
- Untertitel
- Galizien
- Band
- 19
- Herausgeber
- Erzherzog Rudolf
- Verlag
- k.k. Hof- und Staatsdruckerei, Alfred von Hölder
- Ort
- Wien
- Datum
- 1898
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 16.48 x 22.34 cm
- Seiten
- 920
- Schlagwörter
- Enzyklopädie, Kronländer, Österreich-Ungarn
- Kategorien
- Kronprinzenwerk deutsch