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Hier musiciren sie so lange, bis sie der Vater einläßt. Nachdem sie aufgenommen und
bewirthet worden, beginnen sie aufs Neue ihre Arbeit, wozu die jungen Leute, die sich
indessen versammelt haben, tanzen. Indessen bereitet die Braut mit den Brautjungfern in
ihrem Hause die Kräuter her (Raute und Singrün), aus denen die Ruthe gewunden
werden soll. Dies vollendet, begibt sie sich mit der ältesten Brautjungfer, welche seit dem
Tage des zweiten Aufgebotes und während der ganzen Dauer der Festlichkeiten ihre
unzertrennliche Begleiterin ist, in das Haus des Bräutigams. Hier wieder „Knieumsassen"
aller Anwesenden, mit der Bitte, sie mögen alle in das Haus der Braut nachkommen. Sie
erhalten aus den Händen des Bräutigams die Ruthe, welche eben im Hause der Braut
umwunden werden soll. Und so bewegt sich der Zug unter Gesang uud Musik nach dem
Hause der Braut. Die „Ruthe" hatte einer der Brautführer, welcher in derlei Dingen
bewandert ist, für den Bräutigam vorbereitet. Er hatte im Wald ein junges Eichen-
stämmchen von beiläufig zwei Zoll Dicke abgeschnitten und daraus einen Stab von der
Länge eiuer Elle verfertigt, den er durch eine Kerbe in zwei gleiche Theile theilte, wovon
er den oberen in sieben Sprossen spaltete, eine in der Mitte und je drei zu beiden Seiten.
Dies bedeutet gleichsam den Lebensbaum, der übrigens auf die mannigfaltigsten Arten in
den verschiedenen Gegenden hergestellt wird. Sobald die Mnsikanten im Hause der Braut
ihre Plätze eingenommen und die jungen Leute ein wenig getanzt haben, stellt die Brant
in der Nähe des Lichtes einen Tisch auf, auf den Tisch stellt sie einen Backtrog, in den
Backtrog legt sie eiueu Brotlaib, in dessen Mitte steckt sie den Stiel der „Ruthe".
Dann wendet sie sich zu den Brautjungfern, macht jeder von ihnen die „Knienmfafsung"
und ladet sie zum „Ruthenwinden" ein. Die Mädchen stellen sich im Kreise um den Tisch
und siugen alle einstimmig: „Fang' an, du liebe N., saug' in der Mitte an vom Kreise,
denn bei dem Mütterchen bist dn schon eine Waise, eine Waise." Auf diesen wehmüthigen
Ruf ergreift die Braut ein Stränßlein von Singrün und beginnt die mittlere Sprosse
damit zu umwinden; die älteste Brautjungfer führt das Winden zn Ende, während die
übrigen siugeu. Wenn die älteste Brautjungfer ihre Arbeit vollendet hat, treten sechs andere
Mädchen an die Ruthe heran und jede „windet" eine Sprosse derselben nnter dem Gesänge
aller Anwesenden, bis die ganze Ruthe umwunden ist.
Nachdem diese Arbeit vollendet ist, singt man: „O Mütterchen, o Herzchen, znr
Ruthe gieb Geschmeide, ein Tüchlein und ein Streiflein, zum Kranz ei» Band von Seide."
So bringt dann die Mutter der Braut diese Gegenstände aus der Kammer: ein
weißes Tüchlein, ein gelbes „Streislein" (Frauengürtel) und eiu rothes Band zum
Rautenkranz, der schon früher gewunden, unter den Kräutern bereit gelegen, und übergibt
dies alles der ältesten Brautjungfer. Diese bindet zuerst das Tüchlein, dann den Gürtel
um das untere Ende der zerspaltenen Ruthe, so daß die Enden bis zum Fuß des Stämmchens
Galizien. 22
Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
Galizien, Band 19
- Titel
- Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
- Untertitel
- Galizien
- Band
- 19
- Herausgeber
- Erzherzog Rudolf
- Verlag
- k.k. Hof- und Staatsdruckerei, Alfred von Hölder
- Ort
- Wien
- Datum
- 1898
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 16.48 x 22.34 cm
- Seiten
- 920
- Schlagwörter
- Enzyklopädie, Kronländer, Österreich-Ungarn
- Kategorien
- Kronprinzenwerk deutsch