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christliches Element drang in die altrnthenische Mythologie ein, indem die heidnischen
Gottheiten mit christlichem Colorit ausgestattet nnd durch christliche Namen ersetzt wurden.
So finden wir also in den Kcüackä-Liedern mythische und christliche Anschauungen mit
historischen Thatsachen vermengt.
Zu Ostern versammeln sich die Dorfmädchen an einem freien Platz, in der Regel
vor der Kirche oder auf dem Kirchhof, veranstalten daselbst verschiedene Osterspiele und
singen dabei Lieder, welche kukükF oder heißen, weil dieselben aller Wahr-
scheinlichkeit nach ehemals in einem Hain (kuZ aufgeführt wurden. Von Ostern an werden
auch Frühjahrsspiele veranstaltet und Frühjahrslieder (vvesniankF) gesungen, ausschließlich
von Mädchen, während die Dorfburschen nur zuhören und hin und wieder mit Witzen
und Scherzen sich einmischen, worauf sie eine Antwort in scherzhaften, satirischen Liedern
erhalten. Die Oster- und Frühjahrsspiele, sowie die entsprechenden Lieder haben
ebenfalls eine mythische Unterlage und beziehen sich meistens auf die himmlischen Mächte
des Lichtes und der Finsterniß. Sie bieten uns ein Abbild dessen, was im Frühjahr auf
Erden und am Himmel vorgeht. Darauf, daß dereinst in den Frühjahrsspielen der Cultus
heidnischer Gottheiten zum Ausdruck kam, scheint der Umstand hinzuweisen, daß dieselben
mit den Ostern beginnen und auf dem Kirchhof oder Friedhof veranstaltet werden. Mit
der Zeit haben die Oster- nud Frühjahrsspiele den Charakter von Belustigungsspielen
angenommen, so wie die ehemaligen Gottheiten im Volksglanben zu dem Range von
Gespenstern und bösen Geistern herabgesunken sind. Der wohlthuende Einfluß des die Erde
befruchtenden Regens hat anch zur Verehrung des fein tröpfelnden Regens Anlaß
gegeben, und die betreffenden von Kindern vorgetragenen Lieder deuten auf demselben
dargebrachte Opfer hin. Manche Frühjahrsspiele und Lieder enthalten Andeutungen von
Ereignissen aus der Periode der rutheuischen Theilfürsten und ihrer Gefolgschaften, unter
anderen aus jener des Fürsten Roman von Hatycz und Wotodymyr.
Die Johannisfest l ieder (kupalni pism) und die einschlägigen Bräuche enthalten
Erinnerungen an die Sonnengottheit (küpalo) und die Regennymphe (marena).
Auch die Hochzeitslieder überliefern uns die Anschauungen über das Familien-
leben und die Familienverhältnisse dieser Periode, wo die Formen der socialen und
staatlichen Ordnnng unter dem ruthenischen Volke noch nicht vollkommen krystallisirt
waren. Das, was jetzt die Bedeutung von bloßen Hochzeitsbräuchen hat, hat früher in
der Wirklichkeit bestanden (z. B. Frauenkauf und dergleichen), wie wir dies aus den
Schilderungen der socialen Zustände unter den slavischen Stämmen im alten Rnthenen-
lande, aus Nestors Chronik, entnehmen können.
Wie die rituelle Volksdichtung sich durch große Mannigfaltigkeit auszeichnet, so
weht in der lyrischen Volksdichtung der Rnthenen ein Hauch großer Frische und tiefen
Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
Galizien, Band 19
- Titel
- Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
- Untertitel
- Galizien
- Band
- 19
- Herausgeber
- Erzherzog Rudolf
- Verlag
- k.k. Hof- und Staatsdruckerei, Alfred von Hölder
- Ort
- Wien
- Datum
- 1898
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 16.48 x 22.34 cm
- Seiten
- 920
- Schlagwörter
- Enzyklopädie, Kronländer, Österreich-Ungarn
- Kategorien
- Kronprinzenwerk deutsch