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Es war dies eine sehr unsichere Identität, da viele gleichen Namens im selben Orte
lebten. Nach der kaiserlichen Verordnung sollten sich die Juden deutsche Namen beilegen;
dies geschah zumeist durch Germanisirung der bisherigen Bezeichnung. Statt Ben-Jakob
nannten sie sich nun Jakobsohn, Mendelsohn, Nathansohn; andere legten sich die Namen
ihrer Geburtsstädte bei: Krakauer, Lemberger, Warschauer; noch andere ließen sich in
ihrer Unbeholfenheit vom Conscriptionsbeamten ihm beliebige Namen beilegen, und so
entstanden, je nach dessen Laune, Sympathie oder Antipathie die sehr verbreiteten
Familiennamen Edelstein, Blumenthal, Saphir, Löwe, Ochs, Bär, Schaf, Langer,
Kurzer. Die Regierung begann den Angelegenheiten der Juden und ihren Privatschulen
einige Aufmerksamkeit zu widmen, ohne jedoch noch resormirend einzugreifen. Nach einem
Berichte der aus Juden zusammengesetzten Jndendirection in Lembergs gab es daselbst
im Jahre 1782 52 Privatschulen unter Aufsicht des Rabbiners; allein dies waren keine
Schulen im gewöhnlichen Sinne, sondern einigermaßen geordnetere, in vier Klassen
eingetheilte Cheders für Bibel und Talmud, mit ungeprüften und ungenügend bezahlten
Lehrern, ohne feste Bezüge. Das Schulgeld war ungleichmäßig, es zahlten blos die
Wohlhabenderen durchschnittlich im Halbjahre in der ersten Klasse 1 fl. 15 kr., in der
zweiten 2 fl. 30 kr., in der dritten 4 fl. 30 kr. und in der vierten 8 fl. 30 kr.
Außerdem bekamen die Lehrgehilfen jeden Tag in einem anderen Hause die Kost. Kinder
armer Eltern, mittellose Waisenknaben, erhielten unentgeltlichen Unterricht, mitunter auch
Verpflegung in den Talmud-Thoraschulen, die nur die untersten Klassen hatten. Die
oberste Klasse wurde gewöhnlich blos von solchen erwachsenen Jünglingen besucht, die sich
dem Gelehrten- oder Rabbinerstande widmen wollten. Jede Klasse wurde drei Jahre
hindurch besucht. Die Unterrichtssprache war überall die hebräische. Eine modernere Art
der Volksbildung suchte die Regierung des Kaisers Josef II. durch die Verordnung zu
erreichen, daß nur solchen Paaren eine Heiratsconsens ertheilt werden dürfe, die eine
Volksschule absolvirt oder durch eine Prüfung beim Kreisamte ein gleichwerthiges Wissen
nachgewiesen hätten. Diese weise Maßregel fruchtete jedoch wenig. Zur Giltigkeit einer
Ehe bei Juden genügt die Trauung durch wen immer in Gegenwart von Zeugen; die
Anwesenheit eines Rabbiners ist durchaus nicht nothwendig. So wird zumeist noch jetzt
getraut und die galizischen Matrikelbücher strotzen infolge dessen von unehelichen Geburten,
die jedoch nach jüdischer Auffassung vollkommen legitim sind. Und selbst jene, die eine
auch nach staatlichem Rechte giltige Ehe eingehen wollten, ohne das vorschriftsmäßige
Wissen im „Bne-Zion", in der Rechtschreibung und in den vier Rechenspecies mitbringen
zu können, ließen sich zumeist vor dem mit der Prüfung betrauten alten Kanzlisten oder
Praktikanten vertreten, indem ein anderes, mit ihrem Namen zeitweilig belehntes Paar
' Dessen Mittheilung ich der Freundlichkeit des Universitätsprofesiors Herrn Regierungsrathes v. Zieglauer verdanke.
Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
Galizien, Band 19
- Titel
- Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
- Untertitel
- Galizien
- Band
- 19
- Herausgeber
- Erzherzog Rudolf
- Verlag
- k.k. Hof- und Staatsdruckerei, Alfred von Hölder
- Ort
- Wien
- Datum
- 1898
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 16.48 x 22.34 cm
- Seiten
- 920
- Schlagwörter
- Enzyklopädie, Kronländer, Österreich-Ungarn
- Kategorien
- Kronprinzenwerk deutsch