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nnd einfach, ihr Leben streng sittenrein; niemals kommen sie mit den Landesgesetzen
in Conflict und ihres vorwurfsfreien Lebens wegen wurden sie in Rußland von der Czarin
Katharina II. und in Galizien von der Kaiserin Maria Theresia durch besondere Privilegien
ausgezeichnet, an denen auch die späteren Regierungen nicht rüttelten; anch entgingen
sie all den Verfolgungen, welche die anderen Juden so schwer trafen, und den Sonder-
steuern, mit denen diese belegt wurden.
Begleiten wir nun den Juden durch alle Phasen des Lebens bis dorthin, wo das
ewig ungelöste Räthsel des menschlichen Daseins ruht.
Die Geburt eines Mädchens ist nur eine halbe Freude, wie überhaupt die Frau
blos als ein halber Mensch gilt; verrichtet doch jeder Jude jeden Morgen das Dankgebet,
daß er nicht als Frau geboren! Großen Jubel dagegen ruft das Erscheinen eines männlichen
Sprößlings hervor, der da der Erbe des Namens, der Gottesfurcht des Vaters und der
Förderer des Seelenheils der Eltern nach ihrem Tode sein soll. Große Vorbereitungen
werden getroffen und zahlreiche Einladungen erlassen zu der acht Tage nach der Geburt
stattfindenden Beschueidungsseier. Dieselbe wird unter vielen Förmlichkeiten gemeiniglich
in der Synagoge von Juden durchgeführt, die sich die Eignung hiefür erworben haben
und einen reinen Lebenswandel führen. Nach erfolgter Aufnahme in den Verband des
Judenthums erhält das Kind den Namen eines Heimgegangenen Verwandten und wird
durch den Vordrer eingesegnet. Zu Hause werden die Gäste und Gratulanten mit Süßig
leiten, Wein und Branntwein bewirthet und der Wöchnerin werden, ist sie wohlhabend,
Delikatessen, ist sie arm, Geld oder Spezereiwaaren zugesendet.
Schon im zarten Alter, gewöhnlich im vierten Lebensjahre, werden die jüdischen
Knaben in eine, allen Regeln der Pädagogik und der Hygiene hohnsprechende Lehr-
anstalt — Cheder — geschickt, wo sie vom Lehrer und seinem Gehilfen — BeHelfer —
vom frühen Morgen bis zum späten Abend im Lesen der hebräischen Quadratschrift und
im Beten unterrichtet werden. An diesem Unterrichte nehmen auch Mädchen theil, welche
jedoch den Knaben nicht mehr folgen, wenn sie aus dem unteren in das höhere Cheder
vorrücken, wo sie Unterricht in den Büchern Mofis lind der Propheten erhalten, um dann
die höchste Lehranstalt, das Talmnd-Cheder, zu beziehen, wo sie meist bis zur frühen
Hochzeit bleiben und manches lernen, das lieber der Vergessenheit anheim fallen sollte.
Der Übertritt der unteren in die mittlere Kategorie, nämlich der Beginn des Bibel-
unterrichtes, wird solenn begangen. Für den betreffenden Samstag werden Verwandte
nnd Bekannte eingeladen, den hoffnungsvollen Jungen zu hören, wie er, auf einem Tische
stehend und mit einem goldgestickten Sammtkäppchen bedeckt, die ersten Bibelworte „Zu
Anfang schuf Gott Himmel und Erde" in der Ursprache vorträgt. Jeder der Geladenen
bringt irgend eine Gabe, Taschenuhren, Taschenmesser, Taschentücher, hebräische Bücher,
Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
Galizien, Band 19
- Titel
- Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
- Untertitel
- Galizien
- Band
- 19
- Herausgeber
- Erzherzog Rudolf
- Verlag
- k.k. Hof- und Staatsdruckerei, Alfred von Hölder
- Ort
- Wien
- Datum
- 1898
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 16.48 x 22.34 cm
- Seiten
- 920
- Schlagwörter
- Enzyklopädie, Kronländer, Österreich-Ungarn
- Kategorien
- Kronprinzenwerk deutsch