Seite - 490 - in Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild - Galizien, Band 19
Bild der Seite - 490 -
Text der Seite - 490 -
490
trüben Einerlei ihres Daseins wie ein Glück erhaschen. Der weitläufige hölzerne Ban zerfällt
in zwei Hälften, die durch den nngedielten Corridor und den Stall von einander geschieden
sind. Auf der einen Seite wohnen der Bräutigam mit den übrigen Männern der Hochzeits-
gesellschaft, während die zweite Hälfte die Braut und den weiblichen Theil beherbergt.
Ein wahrer Hexensabbath ist nun in diesen sonst stillen Ränmen los; man schreit, flucht,
zankt, singt, lacht, trinkt; Fuhrleute und Musikanten, bis zum Exceß betrunken, erhöhen
noch den betäubenden Lärm, den erst der Beginn der feierlichen Handlung zum Schweigen
bringen kann. Alle anwesenden Frauen beschästigen sich mit der jungen Braut und ihrer
Hochzeitstoilette. Das Haar, welches später durch die Scheere fallen soll, wird zum
Zeichen der Unschuld mit weißer Seide durchflochten und mit Zuckermehl bestreut, welches
eine süße Zukunft bedeuten soll. Mitten in der Stube sitzt die zu so ungewohnter
Wichtigkeit erhobene, fast kindliche Braut, von einem geschäftigen, weiblichen Hof
umgeben, gesenkten Blickes den Bräutigam erwartend. Dieser erscheint, von zwei Männern
geleitet, in schwarzseidener Kutte, die Zobelmütze auf dem von zwei langen Locken gezierten
Haupte und legt über das Gesicht der Braut eine breite, schwere Binde, auf daß sie von
nun ab für andere Männer erblinde. Nach dieser Verschleierung — Bedecken — kehrt
der Bräutigam in die Männerstube zurück, während die Frauen ihm unter Lachen Hopfen
nachwerfen, als Sinnbild der Fruchtbarkeit. Nun wird ein Baldachin aufgerichtet, unter
welchem der mit einem weißleinenen Kittel bekleidete Bräutigam, nebst seinen zwei,
brennende Wachskerzen haltenden Beiständen, Aufstellung nehmen. Wie die alten EgyPter
die Mumien ihrer Vorfahren zu ihren Festen mitzubringen pflegten, um im Jubelrausche
an den Tod erinnert zu werden, so bekleiden sich die Juden bei ihren größten Feierlichkeiten
nnd festlichsten Handlungen mit dem Todtenkittel, der sie an die Vergänglichkeit irdischen
Glückes mahnen soll. Der Vorbeter singt mit seinem Chor den Willkommgruß und die zwei
Fackeltragenden holen in feierlichem Schritt die von zwei verheirateten Frauen geführte
verschleierte Braut ein, um sie dem ihrer harrenden Bräutigam zuzuführen. Siebenmal
umkreist die von den Beiständen geleitete Braut den zukünftigen Gatten, während der
Chor jubelnde Weisen vorträgt. Dann wird es stille. Der Trauende — nach jüdischen
Gesetzen kann es wer immer sein — übergibt dem jungen Manne einen goldenen Reifen
und sagt ihm langsam, Silbe vor Silbe, die von dem Bräutigam während der Aussetzung
des Ringes zu wiederholenden Worte vor: „Sei mir angetraut durch diesen Ring nach
den Gesetzen Mosis nnd Israels!" Es findet kein Austausch von Ringen, keine gegenseitige
Versicherung ehelicher Treue statt. Die Frau wird durch den Ring erworben und der Mann
hatte früher das Recht, in polygamischer Ehe zu leben, wenn seine Verhältnisse ihm dies
gestatteten. Dieser Polygamie hat erst im 13. Jahrhundert der große Bann autoritativer
Rabbiner ein Ende gemacht. Nun wird ein in aramäischer Sprache, nach unabänderlich
Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
Galizien, Band 19
- Titel
- Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
- Untertitel
- Galizien
- Band
- 19
- Herausgeber
- Erzherzog Rudolf
- Verlag
- k.k. Hof- und Staatsdruckerei, Alfred von Hölder
- Ort
- Wien
- Datum
- 1898
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 16.48 x 22.34 cm
- Seiten
- 920
- Schlagwörter
- Enzyklopädie, Kronländer, Österreich-Ungarn
- Kategorien
- Kronprinzenwerk deutsch