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nur mit rasch gebackeuen Kuchen versorgen konnten. Die Autoren des Talmnds haben,
eines kalendarischen Zweifels wegen, die sieben auf acht Tage ausgedehnt, während
welcher der Gennß aller mehlhaltigen und einer Gährnng unterliegenden Nahrungsmittel,
sowie der Gebrauch jener Gefäße, die sonst in Benützung stehen, untersagt und speciell für
Ostern eine besondere Koch- und Speiseeinrichtung erforderlich ist. Ja, es müssen alle
vorräthigen Nahrnngs- und Genußmittel, die nicht den Ostergesetzen entsprechen, wenn
auch nur zum Scheine, mittels vorgeschriebenen Vertrages, bei sonstiger Ungenießbarkeit
nach Ostern, an einen Andersgläubigen verkauft und am Rüsttage vor Ostern sämmtliche
Räume und Behälter durchsucht werden, ob sich nicht Brodkrumen vorfinden, die dann
verbrannt werden. Infolge dieser rigorosen Verordnung muß ein frommer Jude, mag
er noch so arm sein, viererlei Speise- und Kochgeschirre besitzen: zweierlei zu Fleisch-
speisen für gewöhnliche Zeiten und separat für Ostern, dann zweierlei zu Milchspeisen für
gewöhnlich und für Ostern. Diese Ausgaben und die theurere Osterkost kann der Ärmere
nur mit Hilfe der Wohlhabenden bestreiten. Es gibt auch Fonds dafür; in größeren
Städten helfen die jüdischen Volksküchen nach.
Die Vorbereitungen zum Feste werden schon wochenlang zuvor getroffen. Man
bäckt Osterbrode (Mazzoth), man zieht Wein ans Rosinen, man brant Meth, füttert
Geflügel, tüncht die rußigen Zimmer, scheuert die lang verwahrlosten Dielen, putzt die
den Winter über verklebten, luftscheuen Fenster, lüftet die Betten, wäscht, reibt und hobelt
Tische, Bänke und Schränke, bringt neue Töpfe, Teller und Gläser ins Haus, das mit
Hilfe von Kelle und Bürste verjüngt wird. Der Arme thut sein Bestes; der Reiche holt
sein Gold- und Silbergeräthe, die kostbaren Vasen, das sorgfältig bewahrte Krystallglas
und die Seidengewänder hervor; gilt es doch den königlichen Gast würdig zu empfangen,
der im Frühlingsglanz herannaht. Heller Lichterglanz übergießt jeden Winkel der
Wohnungen, heiterer Friede zieht auch ins sorgenschwerste Gemüth — gibt es doch auch
in der ärmsten Hütte Nahrung für acht Tage, und soll doch die Befreiung aus einem
noch schwereren und härteren Leben gefeiert werden!
Auf schneeig gedeckter Tafel harren weingefüllte Pocale und die vor jeder unzeitigen
Berührung sorgsam verdeckten Mazzvths des Segens des Hausherrn, den der festlich heraus-
geputzte weibliche Theil der Familie erwartet, um ihn mit einem hellen „Gut Jomtow!"
— fröhliche Feiertage — zu begrüßen. Langsam, feierlich, mit einer Synagogalmelodie
anf den Lippen, kehrt der Hausvater aus dem Gotteshaus zurück, zufrieden lächelnd
beim Anblick der freundlichen Stube, des sauber gedeckten Tisches, des blinkenden Weines
und der geputzten Frauengestalten. Prüfend umkreist er die Tafel, ob auch nichts vergessen
wurde von all den vorgeschriebenen Sachen: der Weinkelch für den Propheten Elias, der
ungesehen in jeder Osternacht erscheint und vom Weine nippt; das gebratene Ei und der
Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
Galizien, Band 19
- Titel
- Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
- Untertitel
- Galizien
- Band
- 19
- Herausgeber
- Erzherzog Rudolf
- Verlag
- k.k. Hof- und Staatsdruckerei, Alfred von Hölder
- Ort
- Wien
- Datum
- 1898
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 16.48 x 22.34 cm
- Seiten
- 920
- Schlagwörter
- Enzyklopädie, Kronländer, Österreich-Ungarn
- Kategorien
- Kronprinzenwerk deutsch