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die Frauen legen ihr Geschmeide ab; es wird keine Hochzeit gefeiert, kein Fest begangen,
kein neues Gewand angelegt und der neunte Tag des Monats, das ist der eigentliche
Tag, an welchem der Tempel, die Herrlichkeit und die nationale Selbständigkeit der Juden
wohl für immer zerstört wurden, unter Fasten, Trauern und Beten der auf der Erde
kauernden Gemeinde verbracht.
Dies ist das Leben der Juden in Galizien mit ihren Leiden und Freuden, ihrem
Glauben und Aberglauben, ihren Bräuchen und Mißbräuchen; das Leben der bigotten
Durchschnittsmenschen, gleichweit entfernt von jenen Exaltados, die wie die Derwische in
Verzückungen gerathen, beim Gebete sich die Glieder verrenken und zwischen Fasten und
Büßungen hinwelken, ohne in Gottes schöner Welt je eine Blume zu pflücken, wie von
jenen Indifferenten, die nur noch lose an dem ererbten Glauben hängend, sich ihren
christlichen Mitbürgern zu assimilireu suchen. Unserem Juden begegnet man zn Hundert-
tausenden in allen Theilen Galiziens, an den Ufern der Weichsel und des Dniestrs, auf den
Höhen der Karpathen, sowie in den Ebenen Podoliens, wie er wohl auch noch nach
Jahrhunderten angetroffen werden dürfte; denn das ist eben das Charakteristische dieses
Volkes, daß es mit zäher Ausdauer unentwegt an den Überlieferungen der Vorfahren
festhält, die ihm heiliger sind, je älter sie geworden!
Die polnischen Mundarten.
Die polnische Sprache Galiziens umfaßt einen Theil jenes großen Sprachgebietes,
das seit vorgeschichtlichen Zeiten ungefähr in derselben Begrenzung und Umgebung lag wie
heute, nur daß im Norden und Westen im Laufe der Jahrhunderte die pommerisch slavischen
und preußischen Nachbarn zum Theile oder auch ganz durch die Deutschen ersetzt wurden.
Mit ihren bezeichnendsten Merkmalen (dem eigenartigen Rhinesmns und der Aussprache
ö als ia, ie) tritt die Sprache fertig und ausgebildet in das geschichtliche Leben ein, dessen
älteste schriftliche Zeugnisse in das XIV. Jahrhundert fallen. Bis vor kurzem galt allgemein
der in den Zwanziger-Jahren unseres Jahrhunderts im Stifte zu St. Florian in Ober-
österreich entdeckte sogenannte Margarethen-Psalter als das älteste geschriebene Denk-
mal der polnischen Sprache. Die Bedürfnisse des Staates, der allerdings auf mittelalter-
lich-lateinischer Grundlage ruhte, riefen bald auch die polnische Übersetzung der haupt-
sächlichsten Denkmäler des öffentlichen und Privatrechtes hervor. Das bedeutendste
derartige, auch sprachlich sehr wichtige Denkmal, ist die von «swixtosiaw z Wojeieszyna
und Maciej z Rozana aus dem Jahre 1449 herrührende Leistung, deren Original sich
gegenwärtig im Krakauer Museum befindet ^Vislieki). Die Schriftart nnd
Schreibweise der handschriftlichen Texte ging in der ältesten Zeit ganz unverändert auch
Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
Galizien, Band 19
- Titel
- Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
- Untertitel
- Galizien
- Band
- 19
- Herausgeber
- Erzherzog Rudolf
- Verlag
- k.k. Hof- und Staatsdruckerei, Alfred von Hölder
- Ort
- Wien
- Datum
- 1898
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 16.48 x 22.34 cm
- Seiten
- 920
- Schlagwörter
- Enzyklopädie, Kronländer, Österreich-Ungarn
- Kategorien
- Kronprinzenwerk deutsch