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Freilich ist Kra^na kein großes Epos, sondern eine kurze Erzählung; doch treten Maß,
Einfachheit, Würde der Darstellung, Plastik und Leben in den Figuren in seltenem Glänze
zu Tage.
Das zweite Bündchen enthielt Balladen, Romanzen und lyrische Gedichte. In allen
diesen Gattungen erwies sich Miekiewiez als Meister. Selbstverständlich muß seine Ballade
der allgemein europäischen ähnlich sein, ausnahmsweise ist sie eine Umarbeitung jener,
(wie zum Beispiel die Ilciec^Icn Mucht) der Bürger'scheu Leuore). Selbständig und
originell bleibt er doch immer, und manche seiner Balladen wie die 3>vite2ianka, eine
bösartige Nixe aus dem See Switez, gehört zu dem Besten, was in dieser Art je gedichtet
wurde. Sein begeisterter lyrischer Schwung erreicht in jener ersten Epoche den Höhepunkt
in der Ode an die Jugend, die zwar später gedruckt, aber in diesen Jahren gedichtet
wnrde. Daß sie nachher mißdeutet und mißbraucht worden ist, indem man sie so verstand,
als wäre der jugendliche Enthusiasmus das einzige Princip großer Thaten und demgemäß
die Jugend allein solcher fähig, läßt sich nicht leugnen. Als Dichtung aber, als Ode,
erreicht sie einen höchst seltenen Grad hinreißender Kraft und Begeisterung.
Der Eindruck dieser ersten Gedichte des Miekiewiez war ein ungeheurer. Es war wie
ein Sonnenaufgang nach langer, düsterer Dämmerung; eine Offenbarung jener wahren
Poesie, nach der man sich so lange, so heiß gesehnt hatte. In dem Leben des Dichters trat
aber eine neue, plötzliche, folgenreiche Wendling ein.
Jene Studentenvereine, die oben bereits erwähnt wurden, hatten wie gesagt keine
politischen Ziele, wurden aber der Regierung verdächtig. Man glaubte (oder gab vor), einen
Zusammenhang, wenigstens eine Ähnlichkeit mit den deutschen Studentenverbindungen, mit
dem italienischen Earbonarismus und mit einem (in der That versuchten) polnischen geheimen
Bunde zu erblicken. Der Gefahr bewußt, die im gegebenen Falle die Universität bedrohen
würde, lösten sich die Filareten freiwillig auf. Trotzdem wurde eine große Anzahl junger
Leute eingesperrt, darunter auch Miekiewiez. Es gab zwar weder eiueu Thatbestand, noch
Beweise, aber Beweise wurden herausgekünstelt; von den Gefangenen wurden einige zur
einfachen Kerkerstrafe, andere zur Übersiedelung verurtheilt. Miekiewiez gehörte noch zu den
Bevorzugten, denn während andere, wie Zan, in die entlegenen Uralgegenden verschickt
wurden, durfte er sich im europäischen Rußland in Staatsdiensten aufhalten. Im Oetober
1824 verließ er Wilua, um nie mehr den vaterländischen Boden zu betreten. Seinen
Freunden und Gönnern gelang es für ihn eine Anstellung in Odessa am dortigen Richelieu-
Gymnasium zu erwirken.
Die Wilnaer Studentenverfolgung brachte in ganz Polen einen erschütternden
Eindruck hervor und wurde zu einem der mächtigsten jener Momente, die später den
Aufstand vom Jahre 1830 herbeigeführt haben. In Miekiewiez' Leben aber war dies der
Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
Galizien, Band 19
- Titel
- Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
- Untertitel
- Galizien
- Band
- 19
- Herausgeber
- Erzherzog Rudolf
- Verlag
- k.k. Hof- und Staatsdruckerei, Alfred von Hölder
- Ort
- Wien
- Datum
- 1898
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 16.48 x 22.34 cm
- Seiten
- 920
- Schlagwörter
- Enzyklopädie, Kronländer, Österreich-Ungarn
- Kategorien
- Kronprinzenwerk deutsch