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lyrische Kraft auszeichneten; über jene Stufe aber, die er in seinen Jugendwerken erreicht
hatte, erhob er sich nicht. In jenen Jahren trat in Warschau eine interessante Erscheinung
auf, ein achtzehnjähriges Mädchen, Hedwig Lnszczewska, die durch ihr Jmprovifations-
talent unter dem Pseudonym Deotyma großes Aufsehen erregte. In reiferen Jahren
gab sie das Jmprovisiren auf und wandte sich größeren Gedichten zu, die allerdings mehr
künstlerisch ausgearbeitet als die Prodncte der Jmprovisationsversnche der Dichterin eine
ansehnliche Stellung in der Literatur sichern. Narcise Zmichowska (Pseudonym Gabriele)
zeichnet sich durch eine rege, vielseitige Phantasie, tiefe Empfindung, Intelligenz und
Bildung aus, die in ihren Gedichten und Novellen viel bewundert wurden. Außer den
Genannten leben und dichten noch die Romantiker, Zeitgenossen und Freunde des
Mickiewicz, Zaleski und Goszczynski, die aber nichts veröffentlichen wollen, und Odyniee,
der sich in Trauerspielen (ohne großen Erfolg) versuchte. Die drei alten Classiker sind
noch da und dichten mit auffallend frischer Kraft. Kozmian vollendet seinen Czarniecki,
Wxzyk seine Dramen, die viel höher stehen, als jene seiner Jugend, Morawski bewahrt
bis an sein Ende Anmuth, feineu Humor und sympathische Empfindsamkeit. Alle drei sind
jetzt vielleicht jünger, als in ihrer Jugend: alle drei sind aber hochbejahrt und verschwinden:
Kozmian im Jahre 1856, Morawski 1861, Wx^yk 1862.
Es kommt gewöhnlich vor, daß in Zeiten, wo es keine großen Dichter gibt, welche
die Aufmerksamkeit der Welt fesseln und alle Gemüther beherrschen könnten, Roman-
schreiber zahlreich auftreten. Die bedeutendste und interessanteste Erscheinung auf diesem
Gebiete ist ohne Zweifel Kraszewski. Eine überaus rührige, energische Natur, mit
außerordentlicher Leistungsfähigkeit, Arbeitskraft und großem Talent ausgestattet, arbeitete
er achtundfünfzig Jahre lang unermüdlich, versucht sich in Allem, will Alles umfassen
und in jeder Richtung thätig und nützlich sein. Als junger Mensch schreibt er Romane,
Gedichte (mitunter große, epische), unternimmt historische (eine Geschichte der Stadt
Wilna) und kritische Studien. Er eignet sich Alles außerordentlich leicht an, erwirbt
allseitige Kenntnisse und theilt das Erworbene in Form von Abhandlungen, das Erlebte
und Beobachtete in Form von Erzählungen und Romanen mit.
Daß eine solche Leistungsfähigkeit und Vielseitigkeit ihre nützliche Seite hatte, ist
selbstverständlich. In Ländern, wo die Regiernngs- und Censurzustände eine nur halbwegs
genügende Bildung nicht zuließen, waren Kraszewskis Werke eine Art Encyklopädie, aus
welcher das Publikum doch einige Kenntnisse in Literatur, Kunst, Ästhetik, Geschichte u. s. w.
schöpfen konnte. Auch hatte er das Publikum an das Lesen polnischer Romane gewöhnt.
Wie mannigfaltig und zahlreich auch die Gegenstände sind, die er bearbeitet hat,
so verdankt er doch seine Stellung in der Literatur hauptsächlich dem Roman. Im Jahre
1879 wurde sein fünfzigjähriges Jubiläum in Krakan gefeiert und bei dieser Gelegenheit
Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
Galizien, Band 19
- Titel
- Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
- Untertitel
- Galizien
- Band
- 19
- Herausgeber
- Erzherzog Rudolf
- Verlag
- k.k. Hof- und Staatsdruckerei, Alfred von Hölder
- Ort
- Wien
- Datum
- 1898
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 16.48 x 22.34 cm
- Seiten
- 920
- Schlagwörter
- Enzyklopädie, Kronländer, Österreich-Ungarn
- Kategorien
- Kronprinzenwerk deutsch