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In der Kleinkunst zog gewiß die Renaissance in die Lemberger Patrizierwohnungen
durch die Handelsbeziehungen mit Deutschland und den Aufenthalt der Italiener in der
Residenz Rutheniens ein, aber es bedurfte des Auftretens des römischen Architekten Paul,
um zu zeigen, was der Renaissancestil in der Bauthätigkeit sei. Am Ende des XVI. und
am Anfang des XVII. Jahrhunderts baute er die sogenannte walachische Kirche
(orientalischen Ritus) und die der Bernardiner, welche beide einen Schmuck Lembergs
bilden. In Quadern ausgeführt, tragen beide Bauten einen ausgeprägten localen Charakter,
welcher sich in verschiedenen Mischformen der Renaissance und durch vorherrschende
Anwendung der dorischen Säulenordnung, in einem Sinne, wie man ihn von einem
provinzialen Architekten nicht immer erwarten kann, äußert.
Die walachische Kirche ist außen von flachen Wänden umschlossen, die Apsis
ist halbrund, die Wände schmücken gut eoneipirte dorische Pilaster, aber es fehlt die
Harmonie der unteren Theile mit den drei Kuppelaufbauten. Das Innere ist durch
dorische Säulenstellungen verengt. Die Bogen der Viernng sind Spitzbogen und entsprechen
nicht dem Geiste der Renaissance, so daß die Architektur des Innern, obgleich dasselbe
malerisch wirkt, nicht stilvoll ist und mit den Werken der Italiener dieser Epoche in keinem
Zusammenhange steht. Eine mit der Kirche verbundene Kapelle und die Gallerien im Hofe
des Gebäudes der Stauropigia sind im Geiste der deutschen Renaissance mit reicher, in
Stein ausgeführter Oruamentation geschmückt, welche beweist, daß der Architekt vor seiner
Ansiedluug in Lemberg in deutschen Städten gearbeitet und sich ganz und gar ihren Stil
angeeignet hat. Der Bau zeigt eine gewisse Starrheit der Formen, obwohl er die Augen
unterhält. Die walachische Kirche erstand unter der Leitung des erwähnten Architekten und
seines Schwiegervaters Wojciech Kapinos und wurde von dem Italiener Ambrosi im Jahre
1629 vollendet.
Wenn die Bernardinerkirche in Lemberg ein am Ende des XVI. Jahrhunderts
begonnener und Anfang des XVII. Jahrhunderts vollendeter Bau sein sollte, so wäre sie
ein geradezu räthselhaftes Denkmal der Renaissance-Epoche; ihr dreischisfiges Innere, das
lange, mit den Seiten eines Achteckes abgeschlossene Presbyterinm, der äußere, stilvoll und
logisch im Geiste der Hochrenaissance durchgeführte Organismus und dagegen die im Geiste
der deutschen Renaissance ausgebildete Giebelwand, alles das gebietet uns, in dem Denk-
male die gewaltsame Umbildung eines alten gothischen Baues in die italienische Architektur
zu erblicken. Diese Ausgabe hat der Römer Paul vollbracht und dem Werke den Stempel
seines Geistes aufgedrückt.
Ein anderer Lemberger Kirchenbau aus dieser Epoche ist die sogenannte Boim'sche
Kapelle auf dem Kathedralfriedhofe. Sie ist ein spätes Werk der Renaissance mit provin-
zialen Eigenthümlichkeiten. Der architektonische Organismus besteht in dem Übergange von
Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
Galizien, Band 19
- Titel
- Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
- Untertitel
- Galizien
- Band
- 19
- Herausgeber
- Erzherzog Rudolf
- Verlag
- k.k. Hof- und Staatsdruckerei, Alfred von Hölder
- Ort
- Wien
- Datum
- 1898
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 16.48 x 22.34 cm
- Seiten
- 920
- Schlagwörter
- Enzyklopädie, Kronländer, Österreich-Ungarn
- Kategorien
- Kronprinzenwerk deutsch