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Volkskunstmotive zu entwickeln und zur originellen Stileigenheit heranreifen zu lassen, so
werden wir Gelegenheit haben, bei der Besprechung der neuen Kunstindustrie Galizieus
darauf zurückzukommen, und gehen nun zu der Kleinkunst der Vergangenheit über, wie sie
sich im Laufe des den verschiedensten Einflüssen ausgesetzten Cnltnrlebens herausgebildet hat.
Der mächtigste Einfluß war wohl der deutsche. Bis in das XVI. Jahrhundert hinein
sind beinahe alle Zünfte deutsch und selbst, als sie polnisch geworden, bedienen sie sich der
deutschen, wenngleich häufig bis zur Unkenntlichkeit verunstalteten technischen Kunst-
ausdrücke. Eben in denjenigen Handwerken, welche mit der Kunst am engsten verwandt
sind, beispielsweise in der Metallgießerei und Goldschmiedekunst, waren Deutsche die
frühesten Lehrmeister. Beachtet man noch dazu, daß es die zu Polen gehörige Stadt Danzig
war, welche das Land mit feineren Artikeln des Kunstgewerbes versorgte, so wird man
begreifen, daß die deutsche Kleinkunst die weitaus populärste, weil die nächststehende und
wohl die billigste war. Mit Anfang des XVI. Jahrhunderts wird der italienische Einfluß
fühlbar, und während das deutsche Kunstgewerbe sich in den niederen Classen einbürgert
und gleichsam nationalisirt, wird es aus dem königlichen Hofe und aus den Palästen des
hohen Adels durch das italienische verdrängt. Die zweite Gemalin Königs Sigismund I.,
Bona Sforza, bringt mit sich italienischen Geschmack, italienische Sitten und italienische
Meister an den Krakauer Hof. Die zur Aufführung und Ausschmückung monumentaler
Bauten aus Italien berufenen Architekten und Bildhauer, wie z. B. Bartholome» Bereeei
und Giovan Maria Padovan», fördern den italienischen Einfluß auf das polnische Kunst-
gewerbe, welches auch hier in den meisten seiner Abzweigungen, vorzugsweise aber in
der Kunsttischlerei, Schlosserei und den deeorativen Handwerken überhaupt, dem Stile
der gleichzeitigen Architektur zu folgen Pflegte. Nach und nach beginnen diese zwei Kunst-
richtungen, die deutsche uud die italienische, von denen die erste ohnedies von der zweiten
stark beeinflußt war, mit einander zu verschmelzen und indem beide etwas von ihrer
Eigenart an einander abgeben, werden sie wieder beide von den specifisch loealen Bedin-
gungen beeinflußt, und in dieser Wechselwirkung auf fremdem Boden, dem sie sich anpassen
müssen, werden sie gewissermassen zu einer neuen Stilart. Es ist auch eine Eigenthümlichkeit
vieler noch erhaltener Denkmale des Kunstgewerbes auf polnischem Boden, daß man sie,
wo bestimmte Angaben fehlen, gleichzeitig auf deutsche und italienische Provenienz zurück-
zuführen versucht wäre. Dazu gesellte sich aber noch ein dritter, ebenfalls mächtiger Factor:
der stetige, lebhafte Einfluß des Orients. Polen stand immer in einem regen Verkehr mit
dem ottomanischen Osten, und selbst das, was nur zu trennen berufen war, die fast ewige
Fehde, mußte ja fortwährend zur gegenseitigen Berührung führen. Unvergleichlich mehr
als der politische wirkte hier der Handelsverkehr. Polen unterhielt Handelsbeziehungen
mit den fernsten Orten, und eben Lemberg, die jetzige Hauptstadt Galiziens, war der
Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
Galizien, Band 19
- Titel
- Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
- Untertitel
- Galizien
- Band
- 19
- Herausgeber
- Erzherzog Rudolf
- Verlag
- k.k. Hof- und Staatsdruckerei, Alfred von Hölder
- Ort
- Wien
- Datum
- 1898
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 16.48 x 22.34 cm
- Seiten
- 920
- Schlagwörter
- Enzyklopädie, Kronländer, Österreich-Ungarn
- Kategorien
- Kronprinzenwerk deutsch