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Centralpunkt und der Stapelplatz des orientalischen Handels für das ganze Reich. Von
hier ans gingen alle diejenigen morgenländischen Handelsartikel ins Land, welche, in das
eigentliche Kunstgewerbe einschlagend, nicht ohne bedeutenden Einfluß aus die heimatliche
Industrie blieben, und dieser Einfluß ist es, dem sehr viele unzweifelhaft polnische
Erzeugnisse der Kleinkunst jenen eigenthümlich zwitterhaften Zug verdanken, welcher den
fremden Forscher verwirrt. Dies gilt vornehmlich von der Textil- und Goldschmiedekunst
und in zweiter Reihe auch von der Keramik.
Im Textilwesen, niit welchem wir unsere Übersicht beginnen, kommt dieser zwitter-
hafte, irreführende, zwischen Orient nnd Oeeident schwankende Charakter der Ornamentik
und ihrer Stilisiruug vielleicht am auffallendste» zum Vorschein. Dies hat auch eine
offene, strittige Frage geschaffen, mit welcher sich sowohl polnische als deutsche Kunst-
historiker und Fachschriftsteller beschäftigten, die Frage der sogenannten „altpolnischen"
Teppiche. Es gibt eine Art seidener, häufig mit Gold- und Silberfäden durchwirkter
Teppiche, zu deren Mustern zwar orientalische, zumeist altpersische Motive benützt werden,
die jedoch eine mehr oder weniger entschiedene, zuweilen in recht derber Weise durch-
geführte europäische Stilisiruug aufweisen. Die aus Ranken, Palmetten, Lanzettenblättern
und Wolkenbändern auf wechselndem goldenem oder silbernem Grunde combinirte
Ornamentation hat einen scharf ausgeprägten europäischen Zug, welcher den ganzen
Gesammteindrnck solcher Teppiche beherrscht und um so mehr gehoben wird, als auf sehr
vielen Exemplaren dieser Gattung polnische Familienwappen angebracht sind. Einige
Fachschriftsteller haben diesen Teppichen den polnischen Ursprung abgestritten und sie
einfach als persische Fabrikate, die auf europäische Bestellung eigens angefertigt worden
sind, hingestellt, ohne jedoch den Umstand aufzuklären, wie denn eigentlich der bloße
Wohnort des Bestellers — denn von einer Bestellung, der etwa ein Vorlegecarton bei-
geschlossen wäre, kann wohl keine Rede sein, da ja doch in einem solchen Falle das Muster
entschiedener oder gar gänzlich europäisch ausfallen würde, was unseres Wissens niemals
eintritt — wie der bloße Wohnort des Bestellers einen gleichsam zwingenden Anlaß zur
fremdartigen Stilifirung abgeben sollte, und weiter, ohne ans die Frage zu antworten,
weßhalb denn derartige Teppiche in den ältesten Jnventaren der fürstlichen und Magnaten-
häuser beinahe stets als „polnische" bezeichnet werden. Nun sind allerdings die polnischen
Quellen in kunstgeschichtlicher Richtung höchst unzulänglich durchforscht worden, so viel
aber läßt sich schon heute feststellen, daß Teppiche in orientalischer Manier auf polnischem
Boden, und zwar gerade im Gebiete des jetzigen Galizien wirklich erzeugt wurden. Der
für die Gegner der polnischen Abkunft besagter antiker Teppiche maßgebende Einwurf,
daß man in Polen keine Fabrikstätten für Erzeugung solchen Textilwerkes aufweisen
kann, ist hinfällig. Erzeuguugsstätteu im heutige» Siuue des Wortes, mit eommercieller
Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
Galizien, Band 19
- Titel
- Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
- Untertitel
- Galizien
- Band
- 19
- Herausgeber
- Erzherzog Rudolf
- Verlag
- k.k. Hof- und Staatsdruckerei, Alfred von Hölder
- Ort
- Wien
- Datum
- 1898
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 16.48 x 22.34 cm
- Seiten
- 920
- Schlagwörter
- Enzyklopädie, Kronländer, Österreich-Ungarn
- Kategorien
- Kronprinzenwerk deutsch