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eine sehr lange gelbe Wachskerze angefertigt und zu einer Scheibe gewunden. Diese Leichen-
kerze (tolaF) ist dazu bestimmt, lim neben dem Kopfe des Verstorbenen bis zu seinem
Begräbnisse zu brennen. Der Verstorbene wird gewaschen, mit den von ihm gewünschten
Kleidern gekleidet und im großen Zimmer auf die an die Frontseite gestellte lange Wand-
bank (lailä) mit dem Kopfe gegen Osten gelegt. Nun stimmen die Angehörigen Klagelieder
an, in denen sie ihrem Schmerze um den Dahingeschiedenen Ausdruck geben (doeese). Diese
Klagelieder (doeiturl) werden bis zum Begräbniß dreimal des Tages angestimmt: Früh,
Mittags und Abends. Die Schmerzensergüsse und die untröstliche Trauer der jungen
Frauen, der Mütter und Töchter geben sich besonders beim Hinaustragen des Todten aus
dem Hause in erschütternder Weise kund. Überdies gibt es an manchen Orten auch Klage-
weiber von Profession (dveitvare).
Nun kommen die Verwandten, Bekannten und Nachbarn, um sich von dem
Verstorbenen mit den Worten ,vuinnecleü sal lerts — Gott habe ihn selig" zu
verabschieden und den Angehörigen Trost zu spenden, bei welcher Gelegenheit sie immer
eine gelbe Wachskerze mitbringen, die neben dem Verstorbenen, besonders während der
nächtlichen Todtenwache (prive^k) angezündet wird. Über die Nacht weilt im Todten-
zimmer stets eine größere Gesellschaft, welche die vorgelesenen Psalmen und die Apostel-
geschichte andächtig anhört; wenn das Lesen aufhört, werden entweder Märchen erzählt,
oder die jungen Leute veranstalten, um sich die Zeit und den Schlaf zn vertreiben, ver
schiedene Todtenspiele. Am dritten Tage wird der Todte in den Sarg gelegt und nach
kurzem Gebete des Priesters von den Trägern hinausgetragen, während die Angehörigen die
Fenster öffnen, damit die Seele, wenn sie noch im Zimmer und nicht schon neben dem
Leichname wäre, entweichen könne. Der Sarg hat immer an der Kopf- oder einer Neben-
seite eine Öffnung, damit die Seele durch dieselbe, beim Senken des Sarges in das Grab,
entfliehen könne; denn es herrscht der Glaube, daß die Seele bis zu diesem Momente von
der Seite des Leichnams nicht weicht.
Beim Leichenzuge werden vor dem Priester und dem Leichnam, gewöhnlich in
einem Reuter (elur) oder in einer Backmulde (eovata), eigenartig gesonnte Kolatschen
mit einem in dem untersten derselben eingesteckten Obstbaumzweige (pom), der mit Früchten
und Lebkuchen verziert ist, dann Weizen, in einer großen Schüssel gekocht und mit
Honig eingemacht (colivü oder colibä) und eine kleine mit Wein oder Honigwasser
angefüllte Flasche (paus) mit der Leichenkerze (tomx) darauf, gleichsam als Proviant
(merincke) für die Reise der Seele des Verstorbenen getragen. Beim Heraustragen
des Sarges aus dem Hofraume, an den Kreuzwegen und über etwaige Brücken und
Stege werden auf dem Boden vor den Sargträgern oder dem Leichenwagen lange
Handtücher ausgebreitet, die dann arme Leute für sich aufheben dürfen; auch werden bei
Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
Bukowina, Band 20
- Titel
- Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
- Untertitel
- Bukowina
- Band
- 20
- Herausgeber
- Erzherzog Rudolf
- Verlag
- k.k. Hof- und Staatsdruckerei, Alfred von Hölder
- Ort
- Wien
- Datum
- 1899
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 15.14 x 21.77 cm
- Seiten
- 546
- Schlagwörter
- Enzyklopädie, Kronländer, Österreich-Ungarn
- Kategorien
- Kronprinzenwerk deutsch