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(Derecske, Balla, Bodon) mit einem 25 bis 30 Meter langen, über Haselstöcken gefältelten
„Gelsengarn" zeltartig umgeben ist. Außer den Betten stehen da „Tulpentruhen", Schub-
ladkästen für Kleider, Wiegen, Tröge, Knetgestelle, die Mehlkiste u. s. f. Das Licht erhält
dieser Raum durch ein einziges viereckiges Fensterchen, das früher nicht verglast, sondern
nur durch ein Ruthen- oder Strohgeflecht verschlossen war. Geheizt wird er noch jetzt nicht
und die Frauen wärmen sich im Winter ihre Betten mit Steinen oder flachgeschnitzten
„Eichenplanken", die auf dem Ofen erwärmt werden. An die Kammer stößt der Stall, der
einen eigenen Eingang hat; diesem gegenüber steht aus der anderen Seite des Hofes der
Schweinestall, am inneren Ende des Hofes die Scheuer, ein Strohdach auf hölzernen
oder steinernen Pfosten, und dahinter am Ende des Hofes ein kleiner Gemüse- oder
Obstgarten.
Das Familienleben ist vielfach noch jetzt das alte, patriarchalische. Wenn der
Palöczenbursche heiratet, nimmt er sein Weibchen in das Heim seiner Eltern mit. Und
in Folge dieser Sitte verbringt so mancher palöczische Vater sein Leben mit drei oder
vier verheirateten Söhnen und deren Kindern unter einem Dache, bei gemeinsamem
Haushalten und Wirthschaften. An der Spitze der Familie stehen der Hauswirth und die
Hauswirthin. Diese beiden Stellungen gebühren den beiden ältesten Personen beiderlei
Geschlechtes in der Familie, deren Mitglieder ihnen unbedingten Respect entgegen zu
bringen haben. Der Hauswirth ist Herr des Hausgesindes, Hüter des Vermögens und
Anordner der landwirthschaftlichen Arbeit. Die Hauswirthin leitet den Haushalt; sie backt
und kocht, die übrigen Frauen helfen ihr höchstens beim Brotbacken. In das Kochen hat keine
dreinzureden; daher lernen auch die meisten Palöezensrauen erst in vorgerückteren Jahren
kochen. Die jüngeren weiblichen Mitglieder der Familie spinnen, weben, nähen, waschen
oder helfen bei der leichteren Feldarbeit. Wird das friedliche Zusammenleben der mit
Familie gesegneten Geschwister durch etwas gestört, so kommt es zur Trennung. Das
Vermögen wird ausgetheilt und es wird durch „Pfeilziehen" (Losziehen) bestimmt, welcher
Theil jedem zufallen soll.
Die Nahrung ist ausgiebig. Geflügel wird nicht nur für den Verkauf, sondern auch
für den eigenen Haushalt gezüchtet. In wenigen Gegenden sieht man so viel Gänse, wie
bei den Palöczen. Und im Winter stehen gewiß ein paar Mastschweine im Koben. Die
Mahlzeiten sind gemeinschaftlich. Die Männer sitzen um den Tisch, die Franen stehen
hinter ihren Männern, und so löffeln alle aus der gemeinsamen großen Schüssel. Der
Ehrenplatz ist die Ecke neben dem Tische; dort sitzt der Hauswirth, dort wird auch ein
etwaiger Gast von Belang hingesetzt. Nach Väterbrauch thut der Hauswirth den ersten
Schluck aus der Branntwein- oder Weinflasche und reicht sie erst dann dem Gaste mit
den Worten: „Ich geb's in Ehren", worauf der Gast erwidert: „Ich danke, ich nehm's
Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
Ungarn (6), Band 21
- Titel
- Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
- Untertitel
- Ungarn (6)
- Band
- 21
- Herausgeber
- Erzherzog Rudolf
- Verlag
- k.k. Hof- und Staatsdruckerei, Alfred von Hölder
- Ort
- Wien
- Datum
- 1900
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 15.25 x 21.79 cm
- Seiten
- 500
- Schlagwörter
- Enzyklopädie, Kronländer, Österreich-Ungarn
- Kategorien
- Kronprinzenwerk deutsch