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geht, „sich für die Unterkunft zu bedanken". Ja selbst das Blechlein im Haarwulst der
Frauen wird durch ein Stückchen Holz oder einen Gänsekiel ersetzt, weil es dem Todten
schwer fällt, Eisen zu tragen. Das Schaubett wird zwischen den beiden Gassenfenstern
des „Hauses" (Wohnzimmers) aufgestellt, damit der Todte unter dem Hauptbalken der
Decke, längs desselben gelagert sei. Um den Katafalk versammeln sich Abends Wachfrauen,
die fast die ganze Nacht beten und singen. Der Sarg besteht gewöhnlich aus uubemalteu
Brettern. Die jungen Todten werden mit einem buntgeblümten Tuche, die alten mit einer
schwarzen Decke bedeckt, das Begräbniß ist prunkvoll. Der Cantor singt und sagt in langer
Reimrede den Abschiedsgruß, und fast die ganze Dorfbevölkerung geleitet den Verstor-
benen mit Kirchenfahnen nnd Laternen. Dann folgt das Todtenmahl, wobei auch für den
Verstorbenen gedeckt wird, indem man Messer, Gabel und Löffel kreuzweise legt, seinen
Teller verdeckt und seinen Stnhl bei Tische frei läßt, in dem festen Glauben, daß seine
Seele sich unter ihnen befindet.
Die Palöczen sind im Allgemeinen abergläubisch und zum Mysticismus geneigt,
jedoch nicht in höherem Maße als andere Gebirgsvölker. Sie sind meist Katholiken, und
ihr Aberglaube wird bloß durch ihre Religiosität übertroffen. Sie halten die Fasten und
feiern die Feste. Schon der Nachmittag vor den Festen gilt als halber Feiertag. Da wird
nicht gesponnen und gewebt, auch die schwerere Feldarbeit ruht. Zur Kirche, zur Wallfahrt
pilgert der Palöeze zu Fuße bis in die siebente Gemarkung. Seinen Rosenkranz hat er
stets bei sich. Seine Kinder erzieht er religiös und gibt ihnen darin ein gutes Beispiel. Er
macht ein Kreuz über das Brot, ehe er es anschneidet; er zieht auch eines in den Staub
des Weges, ehe er den Wagen für eine längere Reise besteigt; nnd er bekreuzt sich und
sein Kopfkissen und die vier Ecken der Stube, ehe er sich schlafen legt. Sein gläubiges
Vertrauen aus Gott drückt sich in folgendem Sprichworte bezeichnend aus:
Wen der liebe Gott will segnen,
Braucht keinem gefundenen Geld zu begegnen. Wen der liebe Gott will schlagen,
Dem braucht man nicht „guten Morgen" zu sagen.
Übrigens haben die Palöczen einen verzwickten Gedankengang. In vieler Hinsicht
ähneln sie den Szeklern. Wie über diese, sind auch über sie viele Anekdoten im Schwange,
in denen meist unter dem Scheine der Einfalt gesunder Menschenverstand und praktisches
Denken zu Tage tritt. Und jede Empfindung wird bei ihnen zum Lied. Freud und Leid,
Glück und Mißgeschick singen sie sich vom Herzen. Oft wird auch ein besonderer Vorfall
im Dorfe Gegenstand eines Liedes. Diese Gesänge sind zart und duftig, dabei einfach und
ungesucht; in so manchem findet das Gefühl wirklich einen Ausdruck von überraschender
Aufrichtigkeit.
Wir geben hier zwei Pröbchen dieser Palöczenpoesie, wobei aber leider die sympathische
Naivetät der Mundart verloren gehen muß.
Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
Ungarn (6), Band 21
- Titel
- Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
- Untertitel
- Ungarn (6)
- Band
- 21
- Herausgeber
- Erzherzog Rudolf
- Verlag
- k.k. Hof- und Staatsdruckerei, Alfred von Hölder
- Ort
- Wien
- Datum
- 1900
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 15.25 x 21.79 cm
- Seiten
- 500
- Schlagwörter
- Enzyklopädie, Kronländer, Österreich-Ungarn
- Kategorien
- Kronprinzenwerk deutsch