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beherbergt die Carsija von Sarajevo neununddreißig Zünfte. Sie hat sich überhaupt in
ihrem Aussehen nur wenig geändert, und wie in uralten Zeiten schmettern noch immer
die Pazvandzijas (Nachtwärter) ihre Knotenstöcke gegen das holperige Pflaster, das
„Kaldrma"> die Diebe „verscheuchend", und noch im Jahre 1878 war das Schließen
der Läden das Zeichen zum Aufruhr. Zur Tageszeit aber, und wenn Ruhe im Lande
herrscht, da schwirrt und wimmelt es in der Carsija von Stimmen und Gestalten.
Ausrufer, Tragthiere, Käufer und Verkäufer, Neugierige und Besucher aller Art drängen
sich durcheinander. Buntes und originelles Leben herrscht zumal in der Rasirstnbe, die
hier, wie in anderen Ländern auch als Plauderecken dienen, wo man alles Neue erfährt
und eommentirt.
Inmitten der Carsija setzte sich Ghazi-Husref-Beg ein großartiges Monument in
der nach ihm benannten Moschee, deren architektonische Schönheiten an anderer Stelle
gewürdigt werden. «Sie hat bis Constantinopel nicht ihres Gleichen", meint das Volk
„außer in der prächtigen Snlejmanija in Adrianopel." Eine vielhundertjährige Riesen-
linde breitet über den sprudelnden Sibil ihr duftendes Gezweige, an dem, Gebete
murmelnd, die Gläubigen mit flinken Bewegungen die vorgeschriebenen Waschungen vor-
nehmen, ehe sie in dem mit Alhambramotiven geschmückten und mit kostbaren Teppichen
belegten, myrrhenduftenden Heiligthum verschwinden. In den Rosenbüschen ringsum liest
man aus marmornen Leichensteinen das Loblied Gottes, als des einzigen Quells des
wahren und ewigen Lebens, und die Bitte um ein Fatiha. Dort ruht auch der erste
Bürgermeister von Sarajevo in der neuen Ära, Mustafa Beg Fadil Paött. In den
Öffnungen der alles einschließenden Mauern kauert ein Derwisch, einem verhüllten scheuen
Mädchen einen Liebes-Zapis schreibend. Aus der in der Hofecke lehnenden, rebenum-
sponnenen Volksschule, dem Mejtef, tönt gedämpftes Cantiren — ein Idyll inmitten
des Marktgewühles, in das vom hohen Minaret der Muezzin die frommen Worte ruft,
das Geschrei der Brot- und Buzaverkäufer, das Klappern der Pferdehufe, den ohrenbetäu-
benden Lärm der Kesselschmiede und all das geräuschvolle Drängen der eifrigen Menschen
übertönend. Der Hof birgt noch genug des Sehenswerthen: das Uhrzimmer, Muvekit-
hana in der Straßenecke, an dessen vier Wänden zahlreiche Uhren aller Art hängen, so
daß jeder Vorübergehende nach der Zeit sehen kann; dann der Wasserofen, der im
Winter zehn Auslaufhäfen mit warmem Wasser speist; der Arschinstein, der den Kauf-
leuten das richtige Maß weist, und ein Mausoleum. Dieses umschließt des Gründers
Gebeine, der in einem Zuge gegen die Montenegriner in Drobnjak umkam und
dort bestattet blieb, bis seine Schwiegermutter, die Sultanin Valide, beim Vladika in
Cetinje seine Überführung erwirkte. Hier ruht er nun hochverehrt an der Seite des
Murad Beg Vojvoda, von dem das Gerücht geht, er wäre Husrefs Sohu gewesen,
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Buch Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild - Bosnien und Herzegowina, Band 22"
Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
Bosnien und Herzegowina, Band 22
- Titel
- Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
- Untertitel
- Bosnien und Herzegowina
- Band
- 22
- Herausgeber
- Erzherzog Rudolf
- Verlag
- k.k. Hof- und Staatsdruckerei, Alfred von Hölder
- Ort
- Wien
- Datum
- 1901
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 15.34 x 22.94 cm
- Seiten
- 536
- Schlagwörter
- Enzyklopädie, Kronländer, Österreich-Ungarn
- Kategorien
- Kronprinzenwerk deutsch