Seite - 291 - in Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild - Bosnien und Herzegowina, Band 22
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Niemand. Ein „makelloses ehrliches Antlitz" (eist i poSten obrgii) ist die erste Bedingung
einer würdigen Existenz, und ein altes Wort mahnt, für dasAutlitzAlles und dieses sürNichts
zu opseru (sve obrax, obra^ ni Stc>!); ein anderes sagt: „Hüte dein Antlitz für
diese, deine Seele für die andere Welt!" o d ra? ovi u cluSu c»ni svi^et!)
Wäre das Volk in der Lage gewesen, neben diesen passiven psychischen Eigenschaften
auch die activen, namentlich die Energie, zur gleichen Vollendung zu bringen, es hätte
gewiß eine unvergleichlich höhere Culturstufe erreicht als jene war, ans welcher es die
Occupatio» von l878 vorfand. Diese Energie wurde aber durch vier Jahrhunderte
gebeugt, das Volk mußte sich gewöhnen, fremdem Willen zn gehorchen nnd, von Natur
aus sauftmüthig, vom Schicksale bedrückt, wurde es laugmüthig, geduldig und lernte seine
Ansichten verbergen. Allerdings hatte auch die Langmuth ihre Grenzen, und wo diese über-
schritten wurden, da loderte die Energie wild auf, da nahmen jene stürmischen Aufstände
ihren Ausgang, welche so oft und so tiefgreifend das Land durchwühlten.
Ähnlich wie mit der Energie, war es mit der Schaffensfreude des Volkes bestellt.
Vier Jahrhunderte lang mußte das Volk im Joche arbeiten, um den Lohn der Arbeit von
den Beherrschern genießen zu sehen, während es mit dem Stück harten Brodes fürlieb
nehmen mußte, das ihm gegönnt wurde. Da ist es nun kein Wunder, daß sich der Bauer
mit ebensoviel Arbeit begnügte, als nöthig war, um den Grundherrn zu befriedigen und
den uothdürftigeu Lebensunterhalt zu gewinnen. Seit sich aber die Verhältnisse geändert
haben, seit dem Manne die Möglichkeit geworden, für sich zu arbeite», das Erarbeitete
in Ruhe zu genießen und nicht nur zu erwerben, sondern auch zu ersparen, zeigt sich auch
die Agilität des Volkes in anderem Lichte. Der Mann ist unermüdlich, von Sonnen-
aufgang bis zum Sonnenuntergang an der Arbeit und entwickelt eine erstaunliche
Leistungsfähigkeit. Diesen Arbeitstrieb erweckt zu haben, ist ein nicht genug hoch zu
schätzendes Verdienst der Occupatio».
Stämme, Bruderschaften und Hausgenossenschaften. — Das sociale Leben
in Bosnien und der Hercegovina, namentlich das des Landvolkes in einzelnen
abgelegenen Gegenden, ist heute noch ein patriarchalisches, und das Gruudpriucip desselben
ist die Hausgenossenschaft (tcuca, kucanstvo).
Mehrere dnrch Blutsverband geeinigte Familien bilden seit dem Mittelalter
S t ämme (plems), deren Angehörige plemsnici , suplemenie i (Stammgenossen)
hießeu. Der Begriff der Stammesangehörigkeit (plemstvo) wurde hochgehalten und ver-
pflichtete die einzelnen Familien zu festem Zusammenhalten. Aber so anheimelnd dieses
Clanwesen dem Beobachter erscheinen mag, so verderblich war es, wenu die Interessen der
einzelnen Stämme oder Stammesgruppen (krutstvs) miteinander collidirten. Da hieß es:
u brkckstvu neMku!" (Weh dem Helden aus schwachem Stamme!)
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Buch Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild - Bosnien und Herzegowina, Band 22"
Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
Bosnien und Herzegowina, Band 22
- Titel
- Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
- Untertitel
- Bosnien und Herzegowina
- Band
- 22
- Herausgeber
- Erzherzog Rudolf
- Verlag
- k.k. Hof- und Staatsdruckerei, Alfred von Hölder
- Ort
- Wien
- Datum
- 1901
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 15.34 x 22.94 cm
- Seiten
- 536
- Schlagwörter
- Enzyklopädie, Kronländer, Österreich-Ungarn
- Kategorien
- Kronprinzenwerk deutsch