Seite - 298 - in Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild - Bosnien und Herzegowina, Band 22
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So heilig dem Bosnier fremdes Gut ist, so werth ist ihm sein Eigen, für das er bis
zum letzten Blutstropfen einsteht.
Einst gab es in Bosnien stürmische Zeiten, wo der Bedrückte keine andere Rettung
kannte, als die Berge, in welche er vor den Bedrückern flüchtete. Dann war sein Motto der
Spruch: Sk ne osveti, taj se ne posveti« (Wer sich nicht rächt, der wird nie
selig), nnd sein Leben der Rache widmend, wurde er zum Hajducken, der wegen seiner
Thaten vom Volke bald verdammt, bald glorisicirt wurde. In diesen Zeiten der Selbsthilfe
und der Aufstände entstand das treffende Wort , ?u lum nema arSina" (Revolten
werden nicht nach der Elle gemessen). Solche Störungen des Friedens, wenn sie auch
häufig vorkamen, sagten dem Volksgemüthe durchaus nicht zu, denn es spricht:
mir neZ earski pir- (Der Friede ist besser als des Kaisers Hochzeit), und wo es
nur möglich war, eine Beschwerde in Frieden zu schlichten, wurden dazn alle Anstrengungen
gemacht.
Der Spruchschatz des Volkes enthält eine Menge von Axiomen, welche die volks-
tümlichen Rechtsanschauungen, die sich im Laufe der Zeit vertieften, zum Ausdrucke
bringen, und überdies entwickelten sich besondere traditionelle Rechtsbräuche, wonach in
einzelnen Streitfällen vorgegangen wurde.
Vor der Occupation hatte das christliche Volk wenig Vertrauen zur öffentlichen
Justiz; sie war kostspielig, der Erfolg nicht immer vorauszusehen, und überdies war die
Organisation eine so unzusammenhängende, daß ein Verbrecher nnr aus seinem Bezirke
in einen anderen auszuwandern brauchte, um vor aller Verfolgung sicher zu sein, was
besonders dann der Fall war, wenn er sich unter den Schutz eines mächtigen Begs begab.
Es ist deßhalb nicht zu verwundern, daß der Baner seine Beschwerde nur selten dem
bestellten Richter vorbrachte und vor diesem überhaupt nur dann erschien, wenn er eitirt
wurde, während die vorkommenden Streitfälle von einem Volksgerichte, das sich von
Fall zu Fall constituirte, abgeurtheilt wurden. Diese volksthümliche Rechtspflege, welche,
soweit sie unserer modernen Rechtspflege nicht zuwiderläuft, namentlich in der südlichen
Hercegovina noch heute geübt wird, und deren Axiome heute noch im Volksgeiste leben,
mögen einige wenige Beispiele illustrireu.
Nehmen wir den Fall an, es wurde Jemandem ein Pferd oder eine Kuh gestohlen,
ohne daß der Beschädigte dem Thäter auf die Spur gekommen sei, so wird man es vorerst
versuchen, das geraubte Gut durch die (Amen) zu erlangen. Der Verlustträger
wird beim nächsten Kirchgang in der Kirche nach Verlesung des Evangelinms vom Geistlichen
die Vornahme des „Amins" fordern und seine Beschwerde vorbringen. Der Geistliche wird
dem Volke den Sachverhalt verlautbaren und den Dieb auffordern, er möge sich zur
Beichte einfinden und das Geraubte ersetzen, wobei er sich auf die Unverbrüchlichkeit des
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Buch Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild - Bosnien und Herzegowina, Band 22"
Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
Bosnien und Herzegowina, Band 22
- Titel
- Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
- Untertitel
- Bosnien und Herzegowina
- Band
- 22
- Herausgeber
- Erzherzog Rudolf
- Verlag
- k.k. Hof- und Staatsdruckerei, Alfred von Hölder
- Ort
- Wien
- Datum
- 1901
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 15.34 x 22.94 cm
- Seiten
- 536
- Schlagwörter
- Enzyklopädie, Kronländer, Österreich-Ungarn
- Kategorien
- Kronprinzenwerk deutsch