Seite - 304 - in Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild - Bosnien und Herzegowina, Band 22
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Ein ganz besonderes Rechtsverfahren, das seit der Ocenpativn allerdings außer
Brauch gekommen ist, war die Schlichtung der Blutfehde. Wie bei allen Südslaven, war
die Blutrache auch in Bosnien gebräuchlich; doch während man sonstwo nnnachsichtlich
Blut für Blut forderte und so ganze Familien vernichtete, bestand hier eine mildere
Auffassung, indem man die Blutfehde auf friedliche Weise durch ein Blutgericht krvno
Kalo — krvni mir schlichtete.
Hat ein Mann Jemand aus einem anderen Stamme ermordet, so flüchtet er, um der
Blutrache zu entgehen, in die Berge, während seine Angehörigen indessen den B lntfrieden
einleiten. Sie senden geachtete Männer zum Vater des Ermordeten und erbitten dessen
Verzeihung, wobei, falls er einer friedlichen Lösung geneigt ist, die Sühne für die Blutschuld
ausbedungen wird. Zur verabredeten Stunde versammeln sich die Angehörigen beider
Stämme an einer bestimmten Stelle, und auch ein Priester wird dem Blutfrieden
zugezogen. Die Männer beider Stämme bilden, sich gegenüberstehend, einen Kreis (krvno
Kol«), in dessen Mitte der Geistliche mit dem Kreuze steht, zu seiner Rechten der Vater
oder nächste Verwandte des Gemordeten, zur Linken der des Mörders. Um den Kreis
herum reihen sich die Frauen und Kinder der Familie des Mörders und besonders die
Wiegen der seit dem Morde geborenen Kinder, welche bis zum Blutfrieden nicht getauft
werden. Der Mörder hält sich indessen abseits verborgen, nnd erst, wenn der Vater
des Gemordeten oder dessen nächster Verwandte, welcher den Stamm repräsentirt,
das Sühngeld in Empfang genommen, wird der Mörder gerufen. Er kommt, aber
nicht aufrecht, sondern auf Händen und Füßen kriechend, in den Kreis vor den
Rächer. Die Flinte, mit welcher er den Mord begangen, reicht er dem Rächer,
indem er den Lauf an die eigene Brust drückt. Nur ein Zucken des Fingers, und
der Todte ist gerächt; aber da rufen die Frauen und Kiuder entsetzt: „Denke an Gott
und St. Johannes und verschone diesen Kindern den Ernährer!" Der Rächer nimmt
das Gewehr, feuert es in die Luft ab, hebt deu Büßer auf und küßt ihn, und die
Männer beider Stämme folgen seinem Beispiel. Damit wäre der eigentliche Blutfriede
geschlossen. Um aber eine Garantie für die Dauer desselben zu gewinnen, ist es Sitte,
daß beide Familien in ein solches verwandtschaftliches Verhältniß zu einander treten,
das nach der Volksanschauung der Blutsverwandtschaft gleich kommt und jede Rache
ausschließt, und das ist das kumstvo — die Pathenschaft. Der Geistliche nimmt
deshalb die Taufe des bis dahin absichtlich ohne Taufe belassenen Kindes aus der
Familie des Mörders vor, wobei der Vater oder nächste Verwandte des Gemordeten
zu Pathe steht. Sind keine nngetauften Kinder vorhanden, oder waren bei der Blutfehde
Mohammedaner betheiligt, so wird um die „Schnrpathenschast" gebeten, oder die beiden
Stämme verbrüdern sich.
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Buch Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild - Bosnien und Herzegowina, Band 22"
Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
Bosnien und Herzegowina, Band 22
- Titel
- Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
- Untertitel
- Bosnien und Herzegowina
- Band
- 22
- Herausgeber
- Erzherzog Rudolf
- Verlag
- k.k. Hof- und Staatsdruckerei, Alfred von Hölder
- Ort
- Wien
- Datum
- 1901
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 15.34 x 22.94 cm
- Seiten
- 536
- Schlagwörter
- Enzyklopädie, Kronländer, Österreich-Ungarn
- Kategorien
- Kronprinzenwerk deutsch