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Fragt man nach der Geschichte der Sprache, soweit dieselbe uns durch die ein-
heimischen Literaturdenkmäler der vergangenen Jahrhunderte dargeboten wird, so muß
zunächst die im ersten Moment vielleicht frappirende Thatsache constatirt werden, daß die
bei den Orientalisch-Orthodoxen von jeher allein herrschende slavische Liturgie dem
natürlichen Entwicklungsgange der Volkssprache, beziehungsweise der Verwendung der-
selben zu literarischen Zwecken bis in das XIX. Jahrhundert herein ungleich mehr
hinderlich im Wege als förderlich zur Seite gestanden ist, so zwar, daß selbst in
Darstellungen profaner Gegenstände volkssprachliche Ausdruckssvrmeu, sowohl in
grammatischer als lexikalischer und stilistischer Hinsicht vom Kirchenslavischen, nnd zwar
in der älteren Zeit von der serbisch-slovenischen, später von der russisch-slovenischen
Form desselben, überwuchert erscheinen. Es war daran vornehmlich der Umstand schuld,
daß den im byzantinischen Geiste erzogenen Mönchen und nach ihnen nicht minder auch
den wenigen sonstigen Literaten jeder praktische Sinn und jedes Verständniß für den Werth
des Volkstümlichen abging. Anders verhielt es sich damit speciell in Bosnien und der
Hercegoviua. Hier waren einerseits die staatlichen Einrichtungen insofern? mehr auf
nationaler Grundlage aufgebaut, als die bosnischen Herrscher und andere Großen des
Landes in religiöser Beziehung vielfach dem von keiner fremden Kirche und theologisch-
philosophischen Lehre und Literatur abhängigen Bognmilismus huldigten und in
politischen Angelegenheiten mehrfach mit dem Westen Europas in Contact standen;
andrerseits hat auch die katholische Geistlichkeit, welche sich der lateinischen Sprache bei
den gottesdienstlichen Functionen stets bediente, sich in ihrer slavisch-literarischen
Thätigkeit weniger mit abstracten religions-philosophischen Fragen zu ihren eigenen
kontemplativen Zwecken befaßt. Sie hat vielmehr angesichts der Gefahren, die dem
Katholicismus zuerst seitens der Bognmilen, dann seitens des Islams und zuletzt
namentlich auch seitens des fortschreitenden Protestantismus und dessen eifriger
Propagirnng durch die aus Deutschland verbreitete, in reiner Volkssprache verfaßte
Literatur der Kroaten drohten, es sich zur Aufgabe gemacht, durch eigene literarische
Schöpfungen im katholischen Sinne direct auf das Volk einzuwirken und es auf diese
Weise zunächst konfessionell und moralisch vor den erwähnten Gefahren zu bewahren und
dann ihm überhaupt gesunde Nahrung für seine vielseitigen religiös geistigen Bedürfnisse
zu bieten. Auf diese Weise entstand zur Zeit der politischen Selbständigkeit Bosniens (im
XII. bis XV. Jahrhundert) eine reiche Hofkanzlei-Literatur, von welcher sich eine
ansehnliche Anzahl Urkunden erhalten hat, sowie eine für die damaligen Zeitverhältnisse nicht
minder ansehnliche katholische Erbauungsliteratur. Diese beiden Zweige der bosnischen
Literatur der Vergangenheit weisen uns die eigentliche Volkssprache im Großen und
Ganzen in einer solchen Reinheit auf, daß wir die Entwicklungsgeschichte unserer Sprache in
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Buch Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild - Bosnien und Herzegowina, Band 22"
Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
Bosnien und Herzegowina, Band 22
- Titel
- Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
- Untertitel
- Bosnien und Herzegowina
- Band
- 22
- Herausgeber
- Erzherzog Rudolf
- Verlag
- k.k. Hof- und Staatsdruckerei, Alfred von Hölder
- Ort
- Wien
- Datum
- 1901
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 15.34 x 22.94 cm
- Seiten
- 536
- Schlagwörter
- Enzyklopädie, Kronländer, Österreich-Ungarn
- Kategorien
- Kronprinzenwerk deutsch