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entscheidend beeinflußte. Die älteste schriftliche Urkunde des noch freien Bosnien reicht
ins XII. Jahrhundert zurück. Im Jahre 1189 bewilligte nämlich Kulin Ban der Republik
Ragusa freien Handel in seinen Gebieten. Die Sprache und Orthographie dieser Urkunde
ist so rein und correct, daß man mit ziemlicher Gewißheit annehmen kann, daß in Bosnien
schon vor Kulin Ban die unverfälschte Volkssprache allgemein üblich war; ja man kann
behaupten, daß gerade hier sich die Volkssprache das ihr naturgemäß zukommende Vorrecht
vor der Kirchensprache erobert hat, welch letztere, obschon ein slavischer Dialekt, der
Menge nicht mehr vollkommen verständlich war. Aus zahlreichen Urkunden geht ferner
hervor, daß die bosnischen Herrscher schon damals ständige Logotheten in der Bedeutung
der heutigen Reichskanzler hielten, und daß die Großen des Landes schon ausnahmslos
schreiben und lesen konnten, was in anderen civilisirten Staaten sogar in einer viel
späteren Epoche nicht immer der Fall war.
Im XI. Jahrhundert tritt in Bosnien die Secte der Bognmilen oder Patarenen auf.
Noch ist der Einfluß dieser Secte auf das staatliche und private Leben Bosniens nicht
genügend aufgehellt; doch unterliegt es keinem Zweifel, daß sie zahlreiche Bürgerkriege
verursachte nnd den benachbarten Staaten, besonders Ungarn, den Anlass zur Einmischung
in die bosnischen Angelegenheiten gab, indem die Päpste alles aufboten, um diese
ketzerische Secte auszurotten. Die Bognmilen ihrerseits gingen in ihrem Hasse gegen
Rom so weit, daß sie schließlich sogar die Türken zu Hilfe riefen, nnd als diese wirklich
erschienen, geschah es durch ihren Beistand, daß das schon durch die Natur vortrefflich
geschützte Bosnien so unrühmlich, fast ohne Schwertstreich, unter die osmanische Bot-
mäßigkeit gerieth. Da jedoch ihre Kirche auf rein nationaler Basis aufgerichtet war und
sie sich ausschließlich der Volkssprache bedienten, trugen sie sehr viel zur kulturellen und
literarischen Entwicklung des Landes bei.
Die Bognmilen entfalteten in Bosnien eine sehr rege literarische Thätigkeit, nm für
ihre Sache Proselyten zu werben. Ihre Weltauffassung klingt in der That noch in
zahllosen Sagen, Liedern, Sprüchen nnd Gewohnheiten des Volkes bis in die Gegenwart
nach. Ihre apokryphen Schriften aber gingen mit dem Einbruch der Osmaneu meist
zu Grunde, und vermuthlich haben die Patarenen selbst, welche ausnahmslos zum Islam
übertraten, zahlreiche ihrer alten Bücher den Flammen übergeben. Nur ein geschriebenes
Denkmal aus dieser Epoche blieb uns erhalten, welches der Patarene Hval für den
Großwojwoden von Bosnien und den Herzog von Spalato Hrvoje im Jahre 1404
verfaßt hat. Dieses für den Sprachforscher ungemein werthvolle, mit zahlreichen Bildern
geschmückte Manuskript umfaßt so ziemlich alle von der Secte anerkannten Theile der
heiligen Schrift des alten und neuen Testamentes. Von derselben Hand blieb uns überdies
noch ein Evangelium erhalten. Beide Handschriften hat der berühmte Sprachforscher
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Buch Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild - Bosnien und Herzegowina, Band 22"
Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
Bosnien und Herzegowina, Band 22
- Titel
- Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
- Untertitel
- Bosnien und Herzegowina
- Band
- 22
- Herausgeber
- Erzherzog Rudolf
- Verlag
- k.k. Hof- und Staatsdruckerei, Alfred von Hölder
- Ort
- Wien
- Datum
- 1901
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 15.34 x 22.94 cm
- Seiten
- 536
- Schlagwörter
- Enzyklopädie, Kronländer, Österreich-Ungarn
- Kategorien
- Kronprinzenwerk deutsch