Seite - 406 - in Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild - Bosnien und Herzegowina, Band 22
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der Dichter mit einigen kräftigen Zügen ein lebendiges Bild der großartigen Gebirgs-
landschaft. In diesem Felsenhorst hat ein stolzes Falkengeschlecht seine Wohnstätte auf-
geschlagen und fristet trotz oder gerade wegen der wilden Einöde ein freies Dasein, bis
sich giftiges Schlangengezücht einschleicht. Und nun beginnt beiderseits ein furchtbarer
Ausrottungskampf, worüber selbst die harten Felsen erschauern. Mit dieser durchsichtigen
Allegorie ist die Fehde zwischen Kreuz und Halbmond wirksam bezeichnet. Der zweite
Gesang enthält einen Rückblick auf die bisherigen Kämpfe, der dritte macht uns mit den
Unthaten einer Bafchiboznk-Horde bekannt. Unter Sahin Agas Führung übernachtet
sie in des greisen Obren friedlicher Behausung nnd schwelgt in Völlerei, während deren
harmlose Bewohner in eisig kalter Nacht gefesselt im freien Hofe schmachten. Nur die
jugendliche, züchtige Schwiegertochter Obreus geht frei einher, um die Unholde zu bedienen
und schließlich der teuflischen Gier Sahin Agas zum Opfer zu fallen. Ihr von den Furien
der Eifersucht gequälter Gatte Rado wird, da sein Vater die Schätze, die er nicht hat, auch
nicht preisgeben kann, nach Trebinje ins Gefängniß geschleppt. Der vierte Gesang bringt
eine ergreifende Schilderung des grauenvollen Kerkers, dessen Foltern alle Schrecknisse der
Dante'schen Hölle in den Schatten stellen. Indessen erbarmt sich der Himmel der Opfer
grausamer Brutalität; über Trebinje geht ein furchtbares Gewitter nieder, ein Blitz-
strahl fährt in das unheimliche Verließ, und in der Verwirrung, die darüber entsteht,
gelingt es Rado zu entweichen. Wohlthuend beruhigt der fünfte Gesang unsere durch so
viele Gräuel überspannten Nerven durch die lebhafte Beschreibung der Feier des Haus-
patrons, welche nur getrübt wird durch die Angst vor dem plötzlichen Erscheinen des Blut-
feindes. Doch statt seiner spricht der flüchtige Drago vor, der durch eine zündende Ansprache
die Gäste zur Rache für die erlittene Unbill entflammt. Der sechste Gesang wird durch ein
liebliches Idyll eingeleitet. Die silberhelle Stimme einer Hirtin wetteifert mit dem Braufeu
der reißenden Piva, doch verstummt auch sie, als sich ein Rabenschwarm unheilverkündend
auf den Zinnen der schirmenden Burg, welche das Dorf Velimo überragt, niederläßt. Welcher
wirksame Contrast zwischen diesem harmlosen Mädchen und der von Drago geführten
Rächerschaar, welche sich in der Dämmerung an die Burg heranschleicht, um sie in
Flammen zu stecken und die Verbrechen Hahin Agas und seiner Mordgesellen zu sühnen!
Nun folgt Martin vollendetste Dichtung, eine wahre Perle der südslavischen Literatur,
das ungefähr 6000 Verse umfassende Epos „Luka Vukalovic und die Schlacht am Grahovac
im Jahre 1858". Deutlicher denn irgendwo zeigt hier der Dichter, wie tief er in die
Geheimnisse der Volksseele und das sinnreiche Walten der Natur eingeweiht ist. Er wendet
die glühendsten Farben seiner Phantasie und die ergreifendsten Töne seines Herzens an,
um die heroische Gestalt des Repräsentanten und Vorkämpfers der geknechteten Raja mit
der Gloriole uneigennütziger Vaterlandsliebe und wahrer Menschlichkeit zu umgeben.
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Buch Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild - Bosnien und Herzegowina, Band 22"
Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
Bosnien und Herzegowina, Band 22
- Titel
- Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
- Untertitel
- Bosnien und Herzegowina
- Band
- 22
- Herausgeber
- Erzherzog Rudolf
- Verlag
- k.k. Hof- und Staatsdruckerei, Alfred von Hölder
- Ort
- Wien
- Datum
- 1901
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 15.34 x 22.94 cm
- Seiten
- 536
- Schlagwörter
- Enzyklopädie, Kronländer, Österreich-Ungarn
- Kategorien
- Kronprinzenwerk deutsch