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scheint. Nehmen wir dazu, daß die im XII. Jahrhundert erbaute Kirche zu Klosterneuburg
eine directe Copie von San Micchele in Pavia ist und daß sie in ihrer Anordnung
vollständig mit der Karlsburger Kirche übereinstimmt, ja daß diese durch die Kürze ihres
Mittelschiffes der centralen Anlage näher steht und auch der Kirche zu Pavia ähnlicher
ist. Und sowie der oberitalienische Einfluß über Klosterueuburg nach Norddeutschland
gelangte, konnte er doch über Dalmatien oder Österreich auch auf Siebenbürgen wirken.
Dem künstlerischen Werthe der Kirche thut die Unsicherheit ihres Ursprunges gewiß
keinen Abbruch. Sie ist so werthvoll, daß sie es unter allen mittelalterlichen Baudeuk-^
mäleru des Landes in erster Reihe verdient, ihrem jetzigen herabgekommenen Zustande
durch Ausbesserung entrissen und für die Zukunft gerettet zu werden.
Außer der Kathedrale von Karlsburg erregen noch die Kirchen von Michelsberg
(Kis-Dißuöd) im Comitate Hermannstadt, Münzdorf (Harina) im Bistritz-Naßoder
Comitat, Äkos und Somlyö-Üj fa la im Szilägyer Comitat Aufmerksamkeit. Interessant
sind sie als frühromanische Bauten, die sich in ihrem ursprünglichen Znstande erhalten
und daher unter den örtlichen Verhältnissen einen gewissen Kunstwerth haben. Die drei
ersteren sind dreischissige Basiliken, mit zwei unvollendeten Thürmen au der Westfa^ade;
mit der in Ungarn gebräuchlichen Anlage stimmen sie darin überein, daß der untere
Theil der Thürme als Fortsetzung der Seitenschiffe dient.
Die befestigte Kirche von Michelsberg steht auf einem Bergkegel und beherrscht ein
entzückendes Thal, das einerseits von einer waldigen Bergkette umzogen ist. Sie ist eine
fast centrale Anlage (20 22 — 19 Meter), das ganz schmucklose und nnbenützte Innere,
dank den richtigen Raumverhältnissen, von überraschender Wirkung. Das breite Mittel-
schiff ist von den Seitenschiffen durch zwei Paare viereckiger, gemauerter Pfeiler geschieden;
die einstige flache Decke der Schiffe fehlt; an das Mittelschiff schließt sich ein etwas
schmaleres Chor, mit Kreuzgewölbe und halbkreisförmigem Abschluß; auch die Seiten-
schiffe schließen im Halbkreis ab. Der äußere Aufbau zeigt den uubeworfeueu rohen
Bruchstein, den einzigen Schmuck desselben bildet das Portal, dessen Laibung sich
mittelst abwechselnder rechtwinkliger Kanten, je drei glattschaftiger Säulen und zu innerst
je einem achteckigen Pfeiler gliedert. Von der Thoröffnung ziehen sich beiderseits je zwei
durch eine Doppelsäule getrennte Rundbogenarkaden bis an das Ende der Wand des
Mittelschiffes. Die Säulenköpfe der Portallaibnng, sowie der Arkaden bilden von der
Kelchform ausgehende Würfel; ihr Ornament, von ungeübter Hand, besteht aus
eingegrabenen Blättern, Schneckenlinien und menschlichen Köpfen.
Wie konnte es nun geschehen, daß hier in einem versteckten Winkel an der süd-
östlichen Grenze Siebenbürgens, auf dem Gipfel eines steilen Berges, das Portal einer aus
Bruchsteinen gebauten, völlig schmucklosen Kirche die Gestalt einer reichen Triumphpforte
Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
Ungarn (7), Band 23
- Titel
- Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
- Untertitel
- Ungarn (7)
- Band
- 23
- Herausgeber
- Erzherzog Rudolf
- Verlag
- k.k. Hof- und Staatsdruckerei, Alfred von Hölder
- Ort
- Wien
- Datum
- 1902
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 15.13 x 23.25 cm
- Seiten
- 622
- Schlagwörter
- Enzyklopädie, Kronländer, Österreich-Ungarn
- Kategorien
- Kronprinzenwerk deutsch