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Und doch ist es für Ungarn auch vom Standpunkte der Volkscultur sehr wichtig,
insbesondere die umherziehenden „Zeltzigeuner" seßhaft zu machen. Schreiber dieser
Zeilen hat die Colonisiruug in größeren Gruppen versucht, was aber auf mehrere
Schwierigkeiten stieß. Die an diesen Versuch verwendete Zeit war in Anbetracht der
wilden Sitten und des niedrigen Culturgrades dieses Volkes zu kurz. Die Verwaltungs-
behörden halten die gruppenweise Ansiedelung für sehr schwierig, und würden es auch
wegen der Beaufsichtigung im Interesse der öffentlichen Sicherheit vorziehen, wenn die
Zigeuner an die einzelnen Gemeinden vertheilt würden. Schreiber dieses Aufsatzes wollte
aber gerade die Gemeinden der Mühe und Kosten überheben, zu einer Zeit, als mehrere
Cvmitate jenseits der Donau den walachischen Zigeunern ihre Pferde und Wagen
consiscirten, ohne vorher für die Unterbringung dieser Halbwilden vorgesorgt zu haben.
Allerdings wird ihre Seßhaftmachnng auch durch die Abneigung des Volkes gegen die
Zigeuner erschwert. Und diese Abneigung ist nicht ganz unberechtigt, da diese schwarzen
Söhne Indiens in der That ziemlich unbändig sind. Und die Abneigung wächst noch,
wenn das Landvolk erfährt, daß die Zigeuner gewisser Begünstigungen, wie unentgeltliche
Kost und Kleidung, theilhaftig werden. Ohne solche aber ist es absolut unmöglich, dieses
überaus arbeitsscheue Volk an Arbeit zu gewöhnen. Eine eiserne Faust, eine conseqnente
Energie könnte zwar sehr wahrscheinlich die Ansässigmachung auch gemeindeweise durchsetzen,
allein dies würde dem Staate viel Unkosten und den Gemeinden viel Unannehmlichkeiten
verursachen. Vielleicht könnte bei der Verstaatlichung der Verwaltung auch diese Frage
eudgiltig gelöst werden. Die ansässig zu Machenden müssen mit Wohnhäusern und
geeigneter Arbeit versehen und zur Arbeit erzogen werden. Vor Allem ist es nothwendig,
mit der Gewöhnung an Arbeit und geregeltes Leben bei den Kindern im zarten Alter zu
beginnen und diese der Schule zuzuführen. Dies ist eine schwere Aufgabe, da es bei ihrer
vollständigen Unwissenheit unmöglich ist, sie ohne Altersunterschied in die gewöhnlichen
Schulen zu schicken. Die in Alcsnth errichtete besondere Zigeunerschule hatte bei den
zusammen unterrichteten, 6- bis 15jährigen, im Allgemeinen mit ganz guter Auffassung
begabten Zigeunerkindern in kurzer Zeit recht gute Erfolge aufzuweisen.
Um die Sache der Zigeuner im ganzen Lande zu regeln, ist es vor Allem erforderlich,
ihre Zahl und Lebensweise genau zu kennen. Bei der allgemeinen Volkszählung wurde
natürlich auch auf die Zahl der zigeunerisch Sprechenden reslectirt. Allein weder dies, noch
die charakteristischen Eigenthümlichkeiten der Wohnung u. s. w. ließen einen sicheren
Schluß auf die Zahl unserer Zigeuner zu. Auch die wiederholten älteren und neueren
Zählungen der Zigeuner lieferten keine ganz authentischen Daten. Schließlich wurde am
31. December 1893 in Ungarn eine specielle Zusammenschreibung der Zigeuner durch-
geführt, deren Ergebnisse schon ganz authentische und sichere Daten über unsere Zigeuner
Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
Ungarn (7), Band 23
- Titel
- Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
- Untertitel
- Ungarn (7)
- Band
- 23
- Herausgeber
- Erzherzog Rudolf
- Verlag
- k.k. Hof- und Staatsdruckerei, Alfred von Hölder
- Ort
- Wien
- Datum
- 1902
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 15.13 x 23.25 cm
- Seiten
- 622
- Schlagwörter
- Enzyklopädie, Kronländer, Österreich-Ungarn
- Kategorien
- Kronprinzenwerk deutsch