Seite - IX - in Kronprinz Rudolf - Politische Briefe an einen Freund 1882-1889

daß Österreich und Deutschland in der Welt fremd wur- den, weil sie mit den anderen nicht gleichen Schritt hiel- ten. Die Einkreisung der Zentralmächte, die zu ihrem Zu- sammenbruch führte, nahm schon in den achtziger Jahren des vorigen Jahrhunderts ihren Beginn, als Graf Taaffc in Österreich und Fürst Bismarck im Deutschen Reiche den antiliberalen Kurs einschlugen. In Kaiser Friedrich und im Kronprinzen Rudolf aber lebten die liberalen Ideen in voller Kraft. Beiden schwebte das Bild einer echten konstitutionellen Monarchie, eines Bürgertums als des Trägers der politischen Macht vor; wäre es ihnen vom Schicksal vergönnt gewesen, ihre Gedanken zu verwirklichen, dann hätten sich auch ihre Völker und Staaten nicht außer Reih und Glied mit den anderen Weltmächten gestellt; dann wäre der unerläß- liche Entwicklungsprozeß vom feudal-adeligen Staat über den Liberalismus zur Demokratie nicht unterbrochen worden. Ihr Verschwinden aber riß eine Lücke in diese Reihe. Kein Organismus verträgt jedoch eine Unter- brechung seines natürlichen Wachstums, ohne die emp- findlichsten Schäden zu erleiden und sich den schwersten Gefahren auszusetzen. Jede politische Bewegung, die im Zeitgeist begründet ist, muß sich ausleben können, soll sie nicht später gleich einem nicht aus dem Organismus ausgeschiedenen Fremdkörper die übelsten Wirkungen im Staate hervorbringen. Österreich und Deutschland litten, wie die Franzosen sagen würden, an einem libera- lisme rentré. Unvermittelt war also der große Sprung von einer scheinkonstitutionellen Monarchie zur Herrschaft der absoluten Demokratie und daher war die Erschütte- rung eine so fürchterliche, wie sie der jetzige Zusammen- bruch herbeiführte. So stehen denn die entsetzlichen Schicksalsschläge, welche die Menschheit und uns heim- IX