Seite - 6 - in Kronprinz Rudolf - Politische Briefe an einen Freund 1882-1889

an diesem Tage in Potsdam stattfindenden Taufe unser Stiickel spielen, und dann noch bis zum 12. abends bleiben. Am 13. früh möchten wir wieder hier sein, doch ist es noch nicht bestimmt. Ich bitte das alles zu verwenden, doch in einer Weise, die nicht den geringsten Verdacht auf mich wirft; viel- leicht als Berliner Nachricht. Würde man wissen, daß diese Notiz von mir stammt, würde es für mich eine lange Reihe von Unannehmlich- keiten herbeiführen. Eine Taufe ist wie die andere ; eine feierliche noch lang- weiliger als eine einfache, doch diese am 11. Juni in Ber- lin hat einen sehr ernsten Hintergrund. Diese in diesem Maße noch nie dagewesenen Zärt- lichkeiten zwischen den Wiener und Berliner Höfen sind hervorgezaubert durch die Allianz der Westmächte, durch die glückliche, reiche, sich lebensfähig erweisende, mäch- tige französische Republik, die nun nach kaum 12 Jahren nach dem Tage von Sedan als unleugbar deutliches Bei- spiel dasteht, daß Republiken in Europa Großes leisten können. Und Rußland, in seinem Säuferwahnsinn, liegt in schweren inneren Konvulsionen und ist als Stütze für die konservativen Prinzipien, für die heiligen Allianzen verloren gegangen. Das führt die konservativen Höfe von Berlin und Wien zusammen, das drängt sie zu dergleichen Zärtlichkeiten, das gibt, wie gesagt, dem Taufbecken von Potsdam einen sehr ernsten und interessanten Hintergrund. Mit vielen Grüßen Ihr Rudolf 6