Seite - 18 - in Kronprinz Rudolf - Politische Briefe an einen Freund 1882-1889

kleinen Königen und Fürsten haben sie noch einen Kaiser dazu bekommen, eine viel größere Armee müssen sie zahlen und ein von Soldaten, Polizei und strammem Beamtentum erhaltener und gedrillter Reichs- und Einheitsgedanke schwebt auf den Flügeln eines anbefohlenen und anerzogenen Patriotismus an den Spitzen der Bajonette. Was ist das heutige Deutschland nach einer verlorenen Schlacht gegen das republikanische Frankreich, was tut es, wenn die Armee zu wanken beginnt; dann singen die guten Deutschen: „Allons enfants de la patrie", wie sie es am Ende des vorigen Jahrhunderts gesungen haben. Die tonangebende Macht, die in diesem Frankreich immer noch liegt, wenn es auch oft momentan, wie in einem bleiernen Schlafe zu liegen scheint, macht eben die soziali- stische und jetzt schon anarchistische Bewegung so ernst; wenn sie dort zuerst sich zur großen Macht entfalten sollte. Und das übrige Europa hat Elemente genug, die nur des Rufes bedürfen, um sich zu rühren. Was hat bei uns im Laufe weniger Jahre die sozialistische Partei für Fort- schritte gemacht. Hier in Böhmen sind es allein die Ange- hörigen und Jünger derselben, bei denen jede nationale Differenz vor den anderen Zwecken weichen muß. Deutsche und Tschechen arbeiten da ganz gemein- schaftlich. Wenn Sie mir Ihre Ansichten über die soziale Bewegung in Frankreich und bei uns, und speziell über die Wiener Exzesse am Neubau mitteilen würden, wäre ich Ihnen sehr dankbar dafür. Haben Sie nicht auch gefunden, daß die so auffallend bereitwillige Stimmung, die in den Delegationen ge- herrscht hat, ähnlich sah stiller Resignation. Die stammt aber ab von Angst, Ungewißheit und gedrücktem Sinn. Eine trübe, dumpfe Atmosphäre lastet auf Europa. Es ist 18