Seite - 19 - in Kronprinz Rudolf - Politische Briefe an einen Freund 1882-1889

keine eigentliche vehemente Krankheit, doch alles fühlt sich so „lausig", man fürchtet sich vor inneren Eruptionen und auch vor äußeren. Ich kann sprechen, denn ich gehöre zu den von offizieller Seite am wenigsten informierten Leuten in ganz Österreich; also was ich sage, ist eben nur meine prlva- timste Ansicht. Mir machten die Delegationen auch den Eindruck, als wäre ihnen in den Ausschußsitzungen in vertraulichster Weise etwas sehr Ernstes in die Ohren geraunt worden; ich glaube, es spuken wieder Kriegs- ahnungen, und endlich zugleich vollkommene Annexions- gelüste Bosniens und der Herzegowina herum. Der russische Krieg, das ist das große Gespenst. In Deutschland denkt man auch viel daran; es ist zwar eine kleine Andeutung, doch man sieht daraus, wie sehr man mit uns auf intimstem Fuß bleiben will. Wie Sie wissen, war ich seit Juni schon zweimal in Preußen ; nun bekam ich vor einigen Tagen wieder eine Einladung des alten Kaisers, am 30. November in Berlin einzutreffen, um ihn zu den Jagden nach Letzlingen zu begleiten. Ich erhielt aus Budapest den Befehl, die Einladung anzu- nehmen, und so muß ich denn in so kurzer Zeit zum drittenmal da hinauspilgern. Preußen ist nur zärtlich, wenn es jemanden braucht. Ich glaube, wir gehen ernsten Zeiten entgegen. In Ihrem Blatte stand über die Rede des FML. Latour, daß dieselbe, in ihrer Anzüglichkeit gegen Rußland, Wichtigkeit gewinnt, wenn man die Stellung Latours bei Hofe kennt. Das ist nicht ganz stichhältig. Latour ist ein unab- hängiger Mann; er frug gar niemand betreffs der Rede und hat auch mit derselben nicht im Einvernehmen, son- dern sogar zur Unzufriedenheit der offiziellen und hohen Kreise gehandelt. Was den Schluß des hiesigen Landtages 19