Seite - 27 - in Kronprinz Rudolf - Politische Briefe an einen Freund 1882-1889

vi Prag, 13. Jänner 1883 Lieber Herr Szeps! Vierzehn Tage sind verstrichen, seitdem wir uns das letztemal sprachen, und gar viel hat sich in dieser Spanne Zeit zugetragen. Vor allem innigsten Dank für Ihren Brief mit den Glückwünschen zum Jahreswechsel, die ich aus ganzem Herzen erwidere; möge 1883 uns allen gute, rosige Tage bringen; möge es jenen Prinzipien zum Heil gereichen, für die unsere Herzen schlagen, für die wir streben und hoffen! Gerne hätte ich Ihnen von Budapest aus schon geschrieben, doch ich wußte Sie in Paris und wollte nicht, daß mein Brief lange in Wien liegen bleibe. Morgen müssen Sie zurückgekehrt sein, von einer trau- rigen, doch erhabenen Feier. Das Jahr hat unter düsteren Auspizien begonnen! Man denke, wie man wolle über Gambetta"; ein großer Geist, einer der ersten, vielleicht in unserer armen Zeit der einzige Vorkämpfer freiheitlicher Ideen ist vom Schau- platz verschwunden. Es war eine Titanennatur, eine mächtige Gestalt, die mir immer Bewunderung und Sym- pathien einflößte ; daß er für die liberalen Prinzipien war, ersieht man aus dem Jubel der Gegner bei seinem Tode; Sie können sich wohl denken, daß ich in allen Tonarten dieses Freudengeheul zu hören bekam! In Budapest brachte ich einige mühsame, gehetzte, doch interessante Tage zu, hatte Gelegenheit, Graf Andrassy" und Tisza58 lange zu sprechen. Beide sind betrübt und so- wohl über die innere als auch über die auswärtige Politik ernst gestimmt. Die italienischen Geschichten" waren recht unangenehm und haben uns unsere Reise nach dem Orient verdorben; selbst der sonst nicht ängstliche Pretis bat, wir möchten nicht kommen, da in Italien dermaßen gehetzt wird und 27