Seite - 28 - in Kronprinz Rudolf - Politische Briefe an einen Freund 1882-1889

so deutliche Symptome von Attentatsplänen bestehen, daß es ratsamer erscheint, die mit Italien in engstem Ver- kehr stehenden Punkte Griechenlands und der Levante nicht zu besuchen; unseren Plan vernichtete aber erst vollkommen die Nachricht, es herrsche eine Schwarze- Blattern-Epidemie in Athen und der Provinz Attika. Graf Kálnoky" sprach ich am 10. in Wien; er schien über die italienischen Angelegenheiten ziemlich beunruhigt, über die Zeitungskampagne von Ende 1882, die unser Bündnis mit Deutschland ins Schwanken brachte, wieder vollkommen beruhigt; er hält das Ganze für eine Börsen- machination, für Baissespekulationen und scheint, was Deutschland betrifft, auf volle sichere Freundschaft zu rechnen. Seit dem Tode Gambettas halte ich in Frank- reich alles für möglich! Wer weiß, ob die Dinge nicht schneller ihren Verlauf nehmen werden, als wir es ge- glaubt. In Berlin ist man sehr verstimmt über die Beteili- gung der Elsässer am Begräbnis; und in Frankreich, höre ich, soll die Gambetta-Leichenfeier die patriotischen Ge- fühle wieder zum Moussieren gebracht haben. Für Nach- richten über Frankreich seit dem Tode Gambettas wäre ich Ihnen ungemein dankbar; auch über das, was Sie allenfalls über Italien erfahren haben. Der hiesige Statt- halter war als Auditor bei vielen politischen Prozessen in den fünfziger und sechziger Jahren beteiligt, wurde da- mals wegen seines ausgesprochenen Polizeitalents viel be- nützt und kennt die dortigen Verhältnisse sehr genau; einige der jetzigen Capos der Irredenta sind ihm persönlich bekannt. Er meint, die ganze Bewegung sei nicht gegen uns, sondern gegen das italienische Königtum gerichtet, und hätte nur den Zweck, viele Verlegenheiten zu schaffen, um womöglich durch einen unglücklichen Krieg die Repu- blik herbeizuführen. Wenn vielleicht diese Ansicht eine zu leidenschaftliche ist, so glaube ich selbst doch auch, daß 28