Seite - 42 - in Kronprinz Rudolf - Politische Briefe an einen Freund 1882-1889

liehe Böhmen auf das Land und sitze nun wieder in Prag, jetzt momentan vertieft in das Studium des russisch- preußischen und russisch-österreichischen Kriegsschau- platzes; mit meinem Generalstabschef, einem sehr gebil- deten und tüchtigen Offizier, arbeite ich mich zwischen einem Wust von Karten, militärgeographischen und ethno- graphischen Schriften durch; es ist dies notwendig, man dürfte es bald brauchen; vielleicht selbst zugunsten der Dynastie; wenn dort eine große Revolution ausbricht, der Kaiser ermordet würde und seine Familie nach Deutsch- land oder Österreich fliehen käme, was dann? — gewiß ein Einmarsch von preußischen und österreichischen Truppen. Wer steht gut dafür, daß dies nicht schon an- läßlich der Krönung erfolgt? Beiliegend sende ich Ihnen die Memoiren des „Comte Horace de Viel Castel" zurück; anfänglich wollte ich nur darin herumblättern, doch bald fand ich viel des Inter- essanten und las das ganze Buch. Auch den Brief des Pariser Korrespondenten stelle ich mit vielem Danke zu- rück. Mord, Raub, Sozialisten, Anarchisten, Dynamit, Styt-Glyzerin, daneben klerikale, bei uns feudal-korrupte Wirtschaft, das sind die Merkmale der Zeit; böse Tage! Die Verrohung nimmt überhand; die Zivilisation und ihre Träger werden angekämpft von oben und unten. Schon lange ist es in Europa nicht so schlecht gegan- gen als in diesem Augenblicke. Ich kann Ihnen von hier nichts Neues berichten. Man spricht viel von der Auflösung des Landtages, welche im Mai stattfinden soll; als neuer Landmarschall wird am meisten Fürst Georg Lobkowitz genannt, doch hat der- selbe wenig Aussichten, da er in Wien sehr schlecht an- geschrieben ist; am meisten Hoffnung dürfte für den Fürst Carl Schwarzenberg blühen. Man liebt ihn auf das innig- ste in den Wiener hohen Kreisen, doch, heißt es, leidet er 42