Seite - 77 - in Kronprinz Rudolf - Politische Briefe an einen Freund 1882-1889
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Gestern, als ich abends in das Militärkasino kam, erhielt
ich durch meinen Generalstabschef die dringende Meldung,
es habe das Polizei-Präsidium um ein Bataillon für den
Westbahnhof gebeten und ein anderes Bataillon soll in der
Kaserne strenge Bereitschaft halten; zwei Eskadronen
waren auch hinausbefohten. Als ich nach Hause kam, fand
ich Ihren interessanten Brief und war über den Inhalt des-
selben eigentlich nicht erstaunt. Dahin mußte es kommen!
Der Kampf gegen das solide, liberale Bürgertum, gegen
das wahrhaft fortschrittliche, aber geordnete Prinzip im
Staate, das ist die Parole der sogenannten Konservativen,
der Feudal-Aristokraten hier und in Ungarn; jetzt hetzen
sie die Arbeiter in den Kampf. Sie wollen diese Elemente
ausspielen, doch dabei wird Ordnung, Existenz, Handel,
Gewerbe, die Möglichkeit einer ruhigen Entwicklung ge-
fährdet.
Es kann in Wien noch so weit kommen, daß die Armee,
welche ohnedies als ein gebildetes, liberal-fühlendes,
staatserhaltendes Element, sehr verstimmt ist, die ganze
Sache in die Hände nehmen wird und dann nicht nur unter
den Anarchisten, sondern auch an der Wurzel all diese
Übel auf energische, ich gebe zu, unsanfte Weise heilen
wird!
Dazu kann es kommen! Doch über dieses Kapitel läßt
es sich besser sprechen als schreiben.
Wenn Sie mich sehen wollen, ich bin heute zwischen
2 Uhr und 4 Uhr zu Hause.
Mit den herzlichsten Grüßen
Ihr
Rudolf
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Kronprinz Rudolf
Politische Briefe an einen Freund 1882-1889
- Titel
- Kronprinz Rudolf
- Untertitel
- Politische Briefe an einen Freund 1882-1889
- Autor
- Julius Szeps
- Verlag
- Rikola Verlag
- Ort
- Wien - München - Leipzig
- Datum
- 1922
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 13.6 x 19.54 cm
- Seiten
- 246
- Schlagwörter
- Habsburger, Österreich-Ungarn, Monarchie
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918