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96 Der heilige Johannes, Apostel und Evangelist.
Rückkehr aus Pathmos besuchte der heilige Johannes wieder di.'jVn
Bischof und seine Gemeinde, und sagte nach geordneten Angelegen-
heiten der Kirche: „Wohlan, Bischof, gib mir nun wieder, was ich
und Christus in Gegenwart der Gemeinde, welcher du vorstehest,
anvertrauten!" Der Bischof meinte, der Apostel verlange aus
hum etwas von ihm, was nie in seine Hände gekommen, und
bezeugte, daß er von keinem ihm anvertrauten Gute etwas wisse.
Der Apostel erklärte sich deutlicher, indem er erwiederte: „Ich for-
dere den Jüngling, die Seele des Bruders!" Der Bischof, ein
alter Mann, seufzte tief auf, und sprach mit Thränen: „Er ist ge-
storben!" „Wie so? Welchen Todes?"' fragte Johannes. „Er ist
abgestorben!" antwortete der Bischof; „ein Böscwicht, ein Räuber
ist er geworden, und anstatt bei uns in der Kirche zu senn, hat er
sich auf einem Berge niedergelassen, wo er mit eben so bösen Men-
schen, wie er selbst ist, lebet." Auf diese Nachricht zerriß Johan-
nes sein Gewand, seufzte, schlug sich an sein Haupt, und rief aus:
„O welchen Wachter habe ich erwählt, daß er über die Seele mei-
nes Bruders wachen solle!" Unverzüglich forderte er ein Pferd und
einen Wegweiser. Der Greis bestieg das Pferd, und eilte zu dem
Berge, wo er sogleich von ausgestellten Räubern angehaltn und
ergriffen wurde. „Das wollte ich!" sprach er, „führt mich zu eue-
rem Hauptmannc!" Die Räuber führten ihn zum Hauptmanne,
dcr in Rüstung da stand, und den Gefangenen, da er ihn kommen
sah, erwartete. Als er aber den Apostel Johannes erkannte, lief
er voll Scham davon. Ungeachtet des hohen Alters, gestärkt durch
die Liebe, lief der heilige Greis ihm nach und rief: „Sohn! warum
fliehest du vor deinem Vater, einem wehrlosen Greisen? Erbarme
dich meiner, o Sohn! Fürchte dich nicht! Du hast noch Hoffnung
des Lebens; ich werde Christo Rechenschaft ablegen für dich! Gcrn
will ich, wenn es nöthig ist, den Tod für dich leiden, so wie der
Herr den Tod für uns gelitten hat! Meine Seele möchte ich geben
für die deinigc! Stehe stille! Glaube mir, Christus hat mich dir
gesendet!" Der Jüngling stand stille mit zur Erde geheftetem Blicke.
Dann warf er die Waffe von sich, Zittern udeificl ihn, und er fing
an bitterlich zu weinen. Als Johannes ihn erreicht hatte, fiel jener
ihm laut weinend um den Hals, flehte um Verzeihung, verbarg aber
die rechte Hand, die er durch Raub und Mord so oft mißbraucht
hatte. Der Apostel schwur, daß er ihm Verzeihung von dem Hei-
lande erhalten hatte; sichte dann, warf sich zu des Jünglings Fü-
ßen, küßte dessen Rechte, und führte ihn mit sich zur Gemeinde.
Der Jüngling bemühte sich durch die Lebhaftigkeit der Reue seine
Sünden auszulöschen, und, wie der heilige Clemens sehr schön sagt,
in seinen Thränen eine zweite Taufe zu finden. So hatte der gute
Legenden der Heiligen auf alle Tage des Jahres
Die Herrlichkeit der katholischen Kirche, dargestellt in den Lebensbeschriebungen der Heiligen Gottes, Band 1
- Titel
- Legenden der Heiligen auf alle Tage des Jahres
- Untertitel
- Die Herrlichkeit der katholischen Kirche, dargestellt in den Lebensbeschriebungen der Heiligen Gottes
- Band
- 1
- Autor
- Anton Mätzler
- Verlag
- Landshut Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 1840
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 9.8 x 16.9 cm
- Seiten
- 900
- Schlagwörter
- Kirche, Gott, Glaube, Religion
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen