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tl2 Der heilige Apostel Thomas.
ihm so unglaublich vor, diese freudige Botschaft war ihm so uner-
wartet, daß er sagte: er würde es nicht glauben, bis er ihn selbst
sehen, und die Zeichen seiner Wunden berühren würde. „Ich will
gewiß seyn, dann will ich glauben."
Merkwürdig und lehrreich ist die Weise, wie Jesus den Tho-
mas von seinem Unglauben heilte. Er tadelte den zweifelnden Apostel
nicht, er schalt ihn nicht, weil er zu entschuldigen war; er that
vielmehr, was derselbe verlangt hatte. Der Unglaube konnte die
Liebe des Erlösers nicht überwinden, mit dem sanftesten Verweis
wies er den Ungläubigen zu Recht; denn als Jesus nach acht Tagen
abermals zu den Aposteln kam, und Thomas auch zugegen war, so
wandte er sich, nachdem er alle gegrüßt hatte, mit liebevoller Güte
zu diesem, und sprach: „Thomas! sieh da meine Hände, lege deine
Finger darein! Reiche deine Hand her, lege sie in meine Seite, und
sey nicht ungläubig, sondern gläubig!" Auf diese Worte sank Tho-
mas voll des höchsten Erstaunens und Entzückens anbcthend Jesu
zu Füßen, und rief aus: »Mein Herr und mein Gott!" Mehr
konnte er nicht hervorbringen, sein Herz war zu voll; aber dieser
kurze Ausdruck sagte schon Alles, was sein Herz von Ehrfurcht und
Freude, Beschauung und Glauben, Zärtlichkeit und Reue, Wehmuth
und Liebe, Erstaunen, Demuth und Anbethung gegen seinen Lehr-
meister empfand.
Mit uns Sündern verfährt Gott auch eben so liebreich und
schonend, wie Jesus mit Thomas. Er vergibt uns unsere Fehltritte,
er belehrt uns, er thut so oft, was wir wollen, und manchmal
mehr, als wir wünschen. O, lassen wir uns durch diese Liebe und
Barmherzigkeit zur tiefsten Reue über unsere Fehltritte und zu unse-
rer Besserung bewegen; trachten wir, uns durch kindliche Gegenliebe
und willigen Gehorsam gegen seinen heiligen Willen, durch die innigste
Ehrfurcht und Anbethung derselben immer würdiger zu machen. —
Nicht mit Härte dürfen wir unseren fehlenden und zweifelnden Mit-
menschen begegnen, sondern mit schonender Liebe und Güte sollen
wir sie, wie es auch Jesus that, belehren und bessern. — Härte
erbittert nur, sanfte Belehrung bringt zur Ueberzeugung.
Jesus sagte endlich zu Thomas: »Weil du mich gesehen hast,
Thomas, so glaubst du! Selig sind diejenigen, welche nicht gesehen,
und dennoch glauben.« Diese schöne Anmerkung hat Jesus uns zu
lieb gemacht. Freilich sollte man denken, wenn wir das Glück,
welches dem Thomas ward, nur einige Augenblicke genießen könnten,
so hätten wir für das ganze Leben genug daran. Wir würden für
immer gegen alle Zweifel geschützt, zu allem Guten gestärkt, gegen
alles Böse verwahrt, und in allen Leiden getrost seyn. Allein, da
wir nun einmal Jesum nicht sehen, so bleibt uns nichts übrig, als
Legenden der Heiligen auf alle Tage des Jahres
Die Herrlichkeit der katholischen Kirche, dargestellt in den Lebensbeschriebungen der Heiligen Gottes, Band 1
- Titel
- Legenden der Heiligen auf alle Tage des Jahres
- Untertitel
- Die Herrlichkeit der katholischen Kirche, dargestellt in den Lebensbeschriebungen der Heiligen Gottes
- Band
- 1
- Autor
- Anton Mätzler
- Verlag
- Landshut Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 1840
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 9.8 x 16.9 cm
- Seiten
- 900
- Schlagwörter
- Kirche, Gott, Glaube, Religion
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen