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Am 8. Oktober. 645
Hausthüre war nicht selten von dem Blute eifersüchtiger Liebhaber
gefärbt. Als dieses Paphnutius, ein heiliger Einsiedler, erfuhr, ward
er tief bekümmert über das große Aergerniß sowohl, als über das
Verderben der Jungfrau, und derer, die mit ihr sich in den Unter:
gang stürzten. Er legte sein Einsiedlcrgcwand weg, zog weltliche
Kleider an, nahm ein Goldstück (einen Solidus) zu sich, und ging
in die Stadt, wo Thais ihr Wesen trieb. Er kam zu der feilen
Buhlerin, und gab das Goldstück als Sündenlohn hin. Sie führte
ihn in ein Zimmer, in welchem ein prächtiges, mit reichen Decken
geziertes Bett stand. Paphnutius aber sprach: „Wenn du ein ge:
heimcres Gemach hast, so wollen wir in dasselbe gehen." Ich habe
eines, erwiederte sie, scheuest du dich aber vor Menschen, so ist die:
ses sicher genug; scheuest du dich vor Gott, so gibt es keines, in
welches sein allcssehcndcr Blick nicht eindränge. „So glaubst du
also an einen Gott?" fragte Paphnutius. Thais antwortete: „Ich
glaube an einen Gott, und an eine Ewigkeit, in welcher die Sün:
der die verdiente Strafe empfangen." Der Einsiedler sprach: „Wenn
du das glaubst, warum hast du so viele Seelen zu Grunde gerich:
tet? Wisse, daß du nicht blos von deinen eigenen Sünden, sondern
auch von den Lastern derjenigen, mit denen du gesündigct hast,
strenge Rechenschaft wirst geben muffen." Als Thais das hörte,
ward sie in ihrem Innersten erschüttert. Sie warf sich zu den Fü-
ßen des Paphnutius, weinte heftig und rief: „Ich will Buße thun,
und hoffe, daß durch deine Fürbitte die Versöhnung mir zu Theil
werde. Gestatte mir nur eine Frist von drei Stunden, und nachher
werde ich gehen, wohin du willst, und thun, was du mich heißest."
Paphnutius bezeichnete ihr cincn Ort, an welchem sie zu ihm kom:
men sollte, und entfernte sich. Thais raffte Alles, was sie als Sün:
denlohn besaß, zusammen, trug es auf einen öffentlichen Platz der
Stadt, zündete es im Angesichte vieler Zuschauer an, und rief:
„Alle, die mit mir in bösem Umgänge lebten, mögen kommen, und
sehen, wie alles, was ich von ihnen empfangen habe, im Rauche
aufgeht." Der Werth des Verbrannten betrug eine große Summe.
Nun ging sie an den Ort, welchen Paphnutius ihr bestimmt hatte.
Dieser führte sie in eine Einsiedelei, in welcher mehrere Gott gc:
weihte Jungfrauen lebten. Daselbst verschloß er sie in eine kleine
Zelle, deren Thüre er mit Blei versiegelte. Die Zelle hatte ein klei-
nes Fensterlcin, durch welches ihr täglich nur wenig Brod und Was-
ser gereicht wurde.
Als Paphnutius weggehen wollte, fragte ihn die Büßerin, wie
sie zu Gott bethen solle? Er antwortete: „Du bist nicht würdig,
den Namen Gottes zu nennen, nicht würdig auszusprechcn den Na-
men der heiligsten Dreieinigkeit, ja nicht einmal würdig, deine Hände
Legenden der Heiligen auf alle Tage des Jahres
Die Herrlichkeit der katholischen Kirche, dargestellt in den Lebensbeschriebungen der Heiligen Gottes, Band 1
- Titel
- Legenden der Heiligen auf alle Tage des Jahres
- Untertitel
- Die Herrlichkeit der katholischen Kirche, dargestellt in den Lebensbeschriebungen der Heiligen Gottes
- Band
- 1
- Autor
- Anton Mätzler
- Verlag
- Landshut Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 1840
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 9.8 x 16.9 cm
- Seiten
- 900
- Schlagwörter
- Kirche, Gott, Glaube, Religion
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen