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Die Bezeichnung Hypertext spiegelt die historische Entstehung wider: Es wurde zunächst tatsächlich an
reine Textsysteme gedacht. Heute können Texte aber auch mit Daten in einer Datenbank, mit Bildern, Fil-
men, Ton und Musik verbunden werden. Deshalb sprechen viele Autorinnen und Autoren inzwischen von
Hypermedia statt von Hypertext, um die Multimedia-Eigenschaften des Systems zu betonen. Möglicher-
weise ist der Standpunkt Nielsens (1995b) vernünftig, der alle diese Systeme wegen ihres Konstruktions-
prinzips als Hypertext bezeichnet, weil es keinen Sinn mache, einen speziellen Begriff für Nur-Text-Syste-
me übrig zu behalten (S. 5). Hypertext ist zuerst Text, ein Textobjekt, und nichts anderes. Hypertext ent-
steht aus Text, indem dem Text eine Struktur aus Ankern und Verknüpfungen übergelegt wird. Nun kann
man diskutieren, ob bereits das Verhältnis der Textmodule ein nicht-lineares ist oder ob Nicht-Linearität
erst durch die Verknüpfungen konstituiert wird. Auf jeden Fall trifft die Einschätzung von Nielsen (1995)
zu, dass Hypertext ein echtes Computer-Phänomen ist, weil er nur auf einem Computer realisiert werden
kann, während die meisten anderen Computer-Anwendungen ebenso gut manuell erledigt werden können
(S. 16). Landow (1992b) erwähnt literarische Werke, die auf Papier ähnliche Strukturen verwirklicht haben.
Ein Hypertext-System besteht aus Blöcken von Textobjekten; diese Textblöcke stellen Knoten in einem Ge-
webe oder Netz dar; durch rechnergesteuerte, programmierte Verknüpfungen, den Links, wird die Navigati-
on von Knoten zu Knoten gemanagt, das sogenannte „Browsing“. Landow weist auf analoge Vorstellungen
der französischen Strukturalisten Roland Barthes, Michel Foucault und Jacques Derrida hin, die sich so-
gar in ihrer Terminologie ähnlicher Begriffe (Knoten, Verknüpfung, Netz) bedienten, wie sie in der heuti-
gen Hypertext-Technologie benutzt werden (Ebenda, 1ff.). Für die Konstitution des Netzes ist die Größe
der als Knoten gesetzten Textblöcke, die „Granularität“ oder „Korngröße“ der Informationseinheiten ent-
scheidend. Am Beispiel einer KIOSK- Anwendung, die lediglich dem Abspielen von Film-Clips von einer
Bildplatte dient, erläutert Nielsen, dass für ihn eine KIOSK-Anwendung kein Hypertext ist, weil Benut-
zer/innen mit dem Video nicht interagieren können, sobald es läuft. In dem Fall sei die Granularität zu groß
und gebe den Benutzerinnen und Benutzern nicht das Gefühl, die Kontrolle über den Informationsraum zu
besitzen (S. 14).
Für das Netz des Hypertexts hat Landow (1992b) die Begriffe Intertextualität und Intratextualität ge-
prägt (S. 38). Der Begriff Intertextualität (s.a. Lemke, 1992) hat nun wiederum Sager (1995) zur Schöpfung
des Begriffs der Semiosphäre angeregt: „Die Semiosphäre ist ein weltumspannendes Konglomerat beste-
hend aus Texten, Zeichensystemen und Symbolkomplexen, die, auch wenn sie weitgehend in sich abge-
schlossen sind, in ihrer Gesamtheit doch umfassend systemhaft miteinander vernetzt und damit kohärent,
nichtlinear und sowohl denk- wie handlungsorientierend sind“ (Ebenda, 217). Sager berichtet über multi-
mediale Hypertexte auf kunstgeschichtlichem Gebiet, die über das Netz mit Videokameras in weit entfern-
ten Museen verbunden sind. Die Hypertext-Benutzer/innen können von ihrem Platz aus die Kameras fern-
steuern (geplant im Europäischen Museumsnetz). Sager erwähnt auch das Projekt „Piazza Virtuale“ auf der
Documenta 9, in dem per Live-Schaltung Fernsehzuschauer/innen Annotationen in einen Hypertext ein-
bringen können. Auf diese Weise entstehen weltumspannende Räume, die über die Anwendung hinauswei-
sen und je nach Interesse der Benutzer/innen andere Inhalte inkorporieren können (S. 224).
Je nach Art der Knoten und Verknüpfungen kann der Zugriff auf Informationen in einem Hypertext frei
oder beschränkt sein (Lowyck & Elen, 1992, 139). In einer offenen Umgebung treffen die Benutzer/innen
alle Entscheidungen über den Zugang und die Navigation, in einer geschlossenen Umgebung werden diese
Entscheidungen vorab von den Designer/innen getroffen. In jedem Fall können sich zwischen den Vorstel-
lungen der Benutzer/innen und denen der Designer/innen Spannungen ergeben. Aus der Konzeption der
Textblöcke, ihrer Intertextualität, können semiotische Muster resultieren (Lemke, 1992), die als Kunstfor-
men genutzt werden könnten. Die Diskussion über semiotische oder narrative Strukturen von Hypertexten
ist aber erst ganz am Anfang. Thiel (1995) unterscheidet eine monologische Organisationsform für Hyper-
texte von einer dialogischen Form (S. 45), die eine Art Konversationsmodus für den interaktiven Dialog der
Benutzer/innen mit dem Hypertext etablieren könne, konzipiert durch Sprechakte oder Dialogskripte.
L3T
Lehrbuch für Lernen und Lehren mit Technologien
- Titel
- L3T
- Untertitel
- Lehrbuch für Lernen und Lehren mit Technologien
- Herausgeber
- Martin Ebner
- Sandra Schön
- Verlag
- epubli GmbH
- Ort
- Berlin
- Datum
- 2013
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-SA 3.0
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 594
- Schlagwörter
- L3T, online
- Kategorie
- Lehrbücher
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung 1
- Einführung 11
- Von der Kreidetafel zum Tablet 27
- Die Geschichte des WWW 39
- Hypertext 51
- Geschichte des Fernunterrichts 65
- Informationssysteme 75
- Webtechnologien 89
- Multimediale und interaktive Materialien 99
- Standards für Lehr- und Lerntechnologien 109
- Human-Computer-Interaction 117
- Didaktisches Handeln 127
- Medienpädagogik 139
- Systeme im Einsatz 147
- Kommunikation und Moderation 157
- Forschungszugänge und -methoden 167
- Planung und Organisation 177
- Literatur und Information 185
- Die „Netzgeneration“ 201
- Multimedia und Gedächtnis 209
- Mobiles und ubiquitäres Lernen 217
- Prüfen mit Computer und Internet 227
- Blogging und Microblogging 239
- Vom Online-Skriptum zum E-Book 249
- Educasting 257
- Game-Based Learning 267
- Einsatz kollaborativer Werkzeuge 277
- Offene und partizipative Lernkonzepte 287
- Qualitätssicherung im E-Learning 301
- Offene Lehr- und Forschungsressourcen 311
- Lernen mit Videokonferenzen 319
- Simulationen und simulierte Welten 327
- Barrierefreiheit 343
- Genderforschung 355
- Zukunftsforschung 363
- Kognitionswissenschaft 373
- Diversität und Spaltung 387
- Lern-Service-Engineering 397
- Medientheorien 405
- Das Gesammelte interpretieren 413
- Wissensmanagement 421
- Sieht gut aus 427
- Urheberrecht & Co. in der Hochschullehre 435
- Interessen und Kompetenzen fördern 445
- Spielend Lernen im Kindergarten 455
- Technologieeinsatz in der Schule 465
- Technologie in der Hochschullehre 475
- Fernstudium an Hochschulen 483
- Webbasiertes Lernen in Unternehmen 489
- E-Learning in Organisationen 497
- Erwachsenen- und Weiterbildung 507
- Freie Online-Angebote für Selbstlernende 515
- Sozialarbeit 525
- Human- und Tiermedizin 531
- Online-Labore 539
- Mehr als eine Rechenmaschine 547
- Bildungstechnologien im Sport 557
- Fremdsprachen im Schulunterricht 569