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Anthropologisch betrachtet sind Menschen im Konstruktivismus Erschaffer ihrer eigenen Realität (Welter-
zeuger), die nicht nur reagieren oder Informationen verarbeiten, sondern gestaltend in ihre Umwelt eingrei-
fen und diese verändern. Lehren und Lernen gelten als unterschiedliche Systeme, die allenfalls lose mitein-
ander gekoppelt sind. Lehrende können Lernaktivitäten nur anstoßen und Lernende bei der Identifikation
und Lösung komplexer Probleme unterstützen – entweder direkt durch soziale Interaktion oder indirekt
durch die Gestaltung von Kontexten. Als Coaches haben Lehrende im Vergleich zu Lernenden zwar einen
Erfahrungsvorsprung; die Zusammenarbeit aber wird als gleichberechtigt betrachtet. Das Kommunikations-
verhältnis ist demnach nicht nur bidirektional, sondern ausgewogen (Baumgartner et al., 2004).
Im Prinzip ist jedem intuitiv klar, dass Lernen auch in organisierten Bildungssituationen vieles heißen kann:
Es kann heißen, (a) sich zu informieren, um bestimmte Fakten zu gegebener Zeit wiederzuerkennen, (b)
sich neues Wissen anzueignen, um Prüfungen zu bestehen oder besser zu argumentieren, (c) Fähigkeiten
aufzubauen, um sich anders zu verhalten oder anders zu handeln, (d) so kompetent zu werden, dass man
sich zur Expertin bzw. zum Experten auf einem Gebiet entwickelt etc. Es erscheint kaum möglich, diese
Vielfalt an Formen und Resultaten des Lernens mit einer Theorie beschreiben oder erklären zu wollen. Vor
diesem Hintergrund muss man es nicht als Defizit betrachten, dass es mehrere Theoriesysteme des Lernens
gibt, von denen ein jedes nur Aspekte des Lernens fokussiert und eine je spezifische Perspektive einnimmt:
z.B. Lernen als Verhaltensänderung, als Informationsverarbeitung, als Bedeutungskonstruktion. In der Fol-
ge werden Lehrenden und Lernenden unterschiedliche Rollen und Beziehungen zugewiesen und jeweils an-
dere Lernergebnisse betrachtet: z.B. antrainiertes Verhalten und konditionierte Emotionen (im Behavioris-
mus), erinnerte Informationen und erworbene Problemlösestrategien (im Kognitivismus), selbst entdeckte
Einsichten und flexible Handlungsmuster (im Konstruktivismus). Genau das muss man wissen, um nicht
dem Irrtum zu unterliegen, eine Theorie würde einem die Wahrheit über das Lernen mitteilen.
Jede Lerntheorie spannt einen bestimmten Forschungsrahmen auf. In dieser Funktion werden speziell
die großen Theoriesysteme des Lernens zu Paradigmen und bedingen die Sichtweise in der Wissenschaft,
legen also bestimmte Forschungsfragen nahe (z.B. solche nach Mechanismen, Wirkungen oder Erschei-
nungsformen von Lernen) und drängen andere zurück, lenken Strategien und Methoden der Datenerhebung
(z.B. rezeptiv-beobachtend oder eingreifend-verändernd) und der Datenauswertung (z.B. quantitativer oder
qualitativer Art) und definieren die Ausschnitte der Wirklichkeit, die wissenschaftlich bearbeitet werden.
Lerntheorien prägen zudem die Vorstellung von erwünschten Formen des Lernens, nehmen damit direkt
oder indirekt Einfluss auf (normativ wirkende) Auffassungen von Lehren in der Praxis und legen ein je-
weils unterschiedliches Menschenbild nahe. Lerntheorien haben so gesehen eine sehr große, aber auch dif-
fuse, oftmals implizite Wirkung auf Forscher/innen und Praktiker/innen gleichermaßen. Sie prägen mehr
oder weniger dominierend den Zeitgeist einiger Jahre oder Jahrzehnte, ändern sich merklich oder unschein-
bar und tun dies in der Regel in Verbindung z.B. mit anderen gesellschaftlichen, unter anderem auch tech-
nologischen, Entwicklungen.
Innerhalb des Rahmens, den Lernparadigmen aufspannen, entwickeln sich verschiedene Teiltheorien,
die auch für Fragen des Lehrens bedeutsam sind (z.B. Selbstwirksamkeitstheorie, Schematheorie, Theorie
des situierten Lernens) oder Modelle, die direkt das Lehren thematisieren (z.B. Reinmann, 2005): Bei-
spielsweise stammt die programmierte Instruktion zum kleinschrittigen Aufbau klar eingegrenzter Kennt-
nisse oder Fertigkeiten aus dem behavioristischen Forschungsumfeld; die Elaborationstheorie mit Leitlini-
en zur lernförderlichen Aufbereitung von Inhalten ist das Ergebnis kognitivistischer Forschung; Modelle
wie die Anchored Instruction oder Goal-based Scenarios, die ein Lernen in möglichst reichhaltigen oder au-
thentischen Kontexten fördern, proklamieren für sich eine eher konstruktivistische Forschungsgrundlage.
Modelle dieser Art können für Lehrende handlungsrelevant werden. Wie unmittelbar diese Handlungsrele-
vanz ist, hängt davon ab, auf welchem Abstraktionsniveau die Modelle beschrieben sind. Lerntheorien im
Sinne von Lernparadigmen dagegen haben keine unmittelbar handlungspraktische Relevanz.
L3T
Lehrbuch für Lernen und Lehren mit Technologien
- Titel
- L3T
- Untertitel
- Lehrbuch für Lernen und Lehren mit Technologien
- Herausgeber
- Martin Ebner
- Sandra Schön
- Verlag
- epubli GmbH
- Ort
- Berlin
- Datum
- 2013
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-SA 3.0
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 594
- Schlagwörter
- L3T, online
- Kategorie
- Lehrbücher
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung 1
- Einführung 11
- Von der Kreidetafel zum Tablet 27
- Die Geschichte des WWW 39
- Hypertext 51
- Geschichte des Fernunterrichts 65
- Informationssysteme 75
- Webtechnologien 89
- Multimediale und interaktive Materialien 99
- Standards für Lehr- und Lerntechnologien 109
- Human-Computer-Interaction 117
- Didaktisches Handeln 127
- Medienpädagogik 139
- Systeme im Einsatz 147
- Kommunikation und Moderation 157
- Forschungszugänge und -methoden 167
- Planung und Organisation 177
- Literatur und Information 185
- Die „Netzgeneration“ 201
- Multimedia und Gedächtnis 209
- Mobiles und ubiquitäres Lernen 217
- Prüfen mit Computer und Internet 227
- Blogging und Microblogging 239
- Vom Online-Skriptum zum E-Book 249
- Educasting 257
- Game-Based Learning 267
- Einsatz kollaborativer Werkzeuge 277
- Offene und partizipative Lernkonzepte 287
- Qualitätssicherung im E-Learning 301
- Offene Lehr- und Forschungsressourcen 311
- Lernen mit Videokonferenzen 319
- Simulationen und simulierte Welten 327
- Barrierefreiheit 343
- Genderforschung 355
- Zukunftsforschung 363
- Kognitionswissenschaft 373
- Diversität und Spaltung 387
- Lern-Service-Engineering 397
- Medientheorien 405
- Das Gesammelte interpretieren 413
- Wissensmanagement 421
- Sieht gut aus 427
- Urheberrecht & Co. in der Hochschullehre 435
- Interessen und Kompetenzen fördern 445
- Spielend Lernen im Kindergarten 455
- Technologieeinsatz in der Schule 465
- Technologie in der Hochschullehre 475
- Fernstudium an Hochschulen 483
- Webbasiertes Lernen in Unternehmen 489
- E-Learning in Organisationen 497
- Erwachsenen- und Weiterbildung 507
- Freie Online-Angebote für Selbstlernende 515
- Sozialarbeit 525
- Human- und Tiermedizin 531
- Online-Labore 539
- Mehr als eine Rechenmaschine 547
- Bildungstechnologien im Sport 557
- Fremdsprachen im Schulunterricht 569