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Seit sich das Internet als bestimmendes Medium für die meisten Formen von Kommunikation durchgesetzt
hat, gilt der Netzwerkbegriff als Schlüssel zum Verständnis vieler verschiedener Phänomene. So spricht
man etwa von einer Netzwerkgesellschaft und Sozialen Netzwerken. Im Kontext eines in vielen Diszipli-
nen entstehenden Netzwerkparadigmas bietet die in den 1980er-Jahren entwickelte Akteur-Netzwerk-Theo-
rie (ANT) eine vielversprechende Grundlagentheorie für ein zukunftsweisendes Verständnis von Lehren
und Lernen, da sie als eine der wenigen Theorien die Technik als gleichberechtigte Akteurin in sozialer
Kommunikation beschreibt. Im ersten Teil dieses Kapitels wird die Akteur-Netzwerk-Theorie in groben
Zügen skizziert. Im zweiten Teil wird das Prinzip der ANT am Beispiel des Schulunterrichts näher erläu-
tert. Als konkretes Szenario ziehen wir den Unterricht mit Netbooks heran. Es wird der Frage nachgegan-
gen, welche Rolle menschliche und nicht-menschliche Akteure beim Unterricht mit Netbooks spielen, wie
das Zusammenspiel dieser Akteure die Gestaltung von Lehr-Lern-Aktivitäten beeinflusst und wie die Ent-
wicklungen von Akteur-Netzwerk-Konstellationen beobachtet werden können.
Trotz der enormen Fülle an Literatur zu Themen wie Mediendidaktik, E-Learning und Computer im Unter-
richt sucht man fast vergebens nach tiefer greifenden theoretischen Überlegungen zur Rolle der Technik in
Lernprozessen. Wirft man einen Blick auf andere Bereiche und Disziplinen wie etwa die Wissenschafts-
und Technikforschung oder die Kommunikationswissenschaft, fällt hingegen unweigerlich die rege Tätig-
keit und differenzierte Fülle an neuen Ideen auf. Schon allein aus diesem Grund lohnt es sich für Forsche-
rinnen und Forscher, aber auch Anwenderinnen und Anwender von E-Learning, in diesen Bereichen nach
neuen, innovativen Theorien Ausschau zu halten.
Viele Diskussionen über den Einsatz und die Anwendung digitaler Medien in Lernprozessen sind
Grundlagendiskussionen über die Art und Weise, wie Menschen mit Technik umgehen und wie Technik so-
ziale Prozesse bestimmt beziehungsweise bestimmen sollte. Aus diesem Grund ist die Frage nach adäqua-
ten Techniktheorien für alle Verantwortlichen im Bildungssystem von Bedeutung. Theorien sind für Trans-
formationen sozialer Prozesse wichtig und die Diskussion über sie ist Bestandteil jeder verantwortungsvol-
len Auseinandersetzung mit der Praxis und der Zukunft von Bildung. Wie die Rolle der Technik in Bildung
konzeptualisiert wird, ist entscheidend, da je nach Verständnis dieser Rolle unterschiedliche Handlungspro-
gramme und Strategien auf Seite der sozialen Akteure resultieren: Ziele werden anders gesetzt, menschli-
che, technische und finanzielle Ressourcen zugesprochen oder nicht, künftige Entwicklungen durch strate-
gische Entscheidungen initiiert, Rahmenbedingungen für gesellschaftliche Änderungen gesetzt und entspre-
chende Forderungen an alle Beteiligten im Bildungssystem gestellt. Schliesslich geht es auch darum, wie
die Akteure im Bildungssystem sich selbst und ihre Rollen verstehen, denn je nachdem, wie sie Gesell-
schaft, Bildung und Technik sehen, ist ihr Denken und Handeln anders.
Die Akteur-Netzwerk-Theorie, kurz ANT, wurde vor allem von Bruno Latour und Michel Callon wäh-
rend der 1970er und 1980er Jahre in Frankreich entwickelt. Die beiden Soziologen untersuchten in einer
Reihe wegweisender Studien, wie Wissen im Labor entsteht und Wissenschaftler/innen tatsächlich in der
Praxis arbeiten. Wie Ethnologinnen und Ethnologen, die genauestens alles dokumentieren, was ein fremdes
Volk tut und sagt, untersuchten sie, wie wissenschaftliche Erkenntnisse entstehen und wie Technologien ge-
nutzt werden. Aufgrund dieser so genannten Laborstudien entwickelten Latour und Callon eine umfassende
Theorie von Gesellschaft, Kultur und Kommunikation (Latour, 1998, 2000), welche nicht nur für ein neues
Verständnis von Wissenschaft und Technik von Bedeutung ist, sondern auch für ein neues Verständnis von
Politik, Religion, Wirtschaft und Bildung.
Die Laborstudien von Latour, Callon und anderen zeigten, dass die Technik weder den Menschen bestimmt,
noch ein völlig neutrales Werkzeug ist, das keinen Einfluss auf die Gesellschaft hat. In der Realität inter-
agieren Menschen mit Technik so, dass die Produktion von Wissen im Labor, Entscheidungen in der Poli-
tik, wirtschaftliche Tätigkeiten, Medizin und Bildung von den jeweiligen sozio-technischen Netzwerken
bestimmt werden. Dies sind hybride und heterogene Assoziationen von menschlichen und nicht-menschli-
chen Akteuren. Einer der Gründe für die wachsende Akzeptanz dieser Ansicht liegt in der Verwissenschaft-
lichung und Technisierung der Gesellschaft.
L3T
Lehrbuch für Lernen und Lehren mit Technologien
- Titel
- L3T
- Untertitel
- Lehrbuch für Lernen und Lehren mit Technologien
- Herausgeber
- Martin Ebner
- Sandra Schön
- Verlag
- epubli GmbH
- Ort
- Berlin
- Datum
- 2013
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-SA 3.0
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 594
- Schlagwörter
- L3T, online
- Kategorie
- Lehrbücher
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung 1
- Einführung 11
- Von der Kreidetafel zum Tablet 27
- Die Geschichte des WWW 39
- Hypertext 51
- Geschichte des Fernunterrichts 65
- Informationssysteme 75
- Webtechnologien 89
- Multimediale und interaktive Materialien 99
- Standards für Lehr- und Lerntechnologien 109
- Human-Computer-Interaction 117
- Didaktisches Handeln 127
- Medienpädagogik 139
- Systeme im Einsatz 147
- Kommunikation und Moderation 157
- Forschungszugänge und -methoden 167
- Planung und Organisation 177
- Literatur und Information 185
- Die „Netzgeneration“ 201
- Multimedia und Gedächtnis 209
- Mobiles und ubiquitäres Lernen 217
- Prüfen mit Computer und Internet 227
- Blogging und Microblogging 239
- Vom Online-Skriptum zum E-Book 249
- Educasting 257
- Game-Based Learning 267
- Einsatz kollaborativer Werkzeuge 277
- Offene und partizipative Lernkonzepte 287
- Qualitätssicherung im E-Learning 301
- Offene Lehr- und Forschungsressourcen 311
- Lernen mit Videokonferenzen 319
- Simulationen und simulierte Welten 327
- Barrierefreiheit 343
- Genderforschung 355
- Zukunftsforschung 363
- Kognitionswissenschaft 373
- Diversität und Spaltung 387
- Lern-Service-Engineering 397
- Medientheorien 405
- Das Gesammelte interpretieren 413
- Wissensmanagement 421
- Sieht gut aus 427
- Urheberrecht & Co. in der Hochschullehre 435
- Interessen und Kompetenzen fördern 445
- Spielend Lernen im Kindergarten 455
- Technologieeinsatz in der Schule 465
- Technologie in der Hochschullehre 475
- Fernstudium an Hochschulen 483
- Webbasiertes Lernen in Unternehmen 489
- E-Learning in Organisationen 497
- Erwachsenen- und Weiterbildung 507
- Freie Online-Angebote für Selbstlernende 515
- Sozialarbeit 525
- Human- und Tiermedizin 531
- Online-Labore 539
- Mehr als eine Rechenmaschine 547
- Bildungstechnologien im Sport 557
- Fremdsprachen im Schulunterricht 569