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Rückwirkend kann man die klassische Kognitionswissenschaft als Unterfangen betrachten, jahrhunder-
tealte Vorstellungen über die menschliche Kognition mit Hilfe einer zu ihrer Zeit revolutionären neuen Me-
thode auszutesten: der Computersimulation. Dadurch haben wir die jahrhundertealte Hypothese, menschli-
ches Denken bestünde in der Verarbeitung von Symbolen, über Bord werfen können und eine ganze Menge
über uns gelernt. Unsere Vorstellung, was menschliche Kognition in ihrem Kern ausmacht, hat sich drama-
tisch verschoben. Fähigkeiten, die keine weitere Beachtung fanden, wie Sprechen, den Heimweg finden
oder die Fähigkeit, über einen Witz zu lachen, können gewürdigt werden. Darüber hinaus wurde auch klar,
dass sowohl formale als auch natürliche Sprachen nur einen Teil der Welt repräsentieren können und in die-
sem Ansatz viele feine Nuancen, emotionale Zustände, implizite Bedeutungen, etc., die für kognitive Pro-
zesse oft entscheidend sind, unberücksichtigt bleiben.
Aber was hat das alles in einem Buch über Lernen und Lehren mit Technologien zu suchen? Der Einfluss
der klassischen Kognitionswissenschaft ist in vielen wissenschaftlichen Bereichen (ebenso wie in unserer
Alltagsauffassung von Kognition) nach wie vor erkennbar, was sich sowohl in den Metaphern ausdrückt,
mit denen Lernprozesse beschrieben werden, als auch in deren, häufig implizit angenommenen, Wissensbe-
griffen.
Wann immer es um Lernen und Erinnern geht, ist die Computermetapher „Kognition ist Informations-
verarbeitung“ allgegenwärtig: Es wird von Abspeichern, Updaten, Speichern, Informationsverarbeitung
und Abrufen gesprochen. Unser Gedächtnis wird von der kognitiven Psychologie in sensorisches Gedächt-
nis, Arbeitsgedächtnis und Langzeitgedächtnis eingeteilt, zwischen denen Information fließt (Zimbardo,
2004, 298).
Wie wir gesehen haben, ist es kein Zufall, dass dieses Modell damit in wesentlichen Teilen Neumanns
Computerarchitektur entspricht. Treffen diese Ausdrücke den Kern der Sache? Oder suggerieren Sie eine
spezifische Sichtweise, die den Blick auf Wesentliches verstellt? Vieles deutet darauf hin, dass Letzteres
der Fall ist, denn diese Sichtweise auf Kognition und Gedächtnis funktioniert nur mit einem Wissensbe-
griff, der folgende Eigenschaften aufweist:
Wissen beschreibt die Welt,
Wissen besteht aus Einheiten (und ist damit in gewisser Weise quantifizierbar),
Wissen ist strukturunabhängig, das heißt es kann gespeichert und abgerufen werden, ohne sich qua-
litativ zu verändern und
Wissenseinheiten können nach Bedarf miteinander in Beziehung gesetzt und getrennt werden.
Kurz gesagt: Wissen verhält sich wie Information, wobei mitschwingt, dass es bezüglich der Bedeutung
zwischen der gesendeten und der empfangenen Information keinen Unterschied gibt. Ein solcher Wissens-
begriff behandelt Wissen nicht nur als Objekt, sondern suggeriert zusätzlich eine Objektivität (im Sinne von
invarianten und subjektunabhängigen Bedeutungen) von Wissen.
In einem Bildungskontext suggeriert ein solches Modell unterschwellig zumindest folgende Annahmen:
Beim Lernen geht es darum, etwas zu memorieren und bei Bedarf korrekt zu reproduzieren,
dieses Etwas, das gelernt werden soll, stellt für alle, die es lernen sollen, dieselbe Einheit dar und
kann so kommuniziert werden,
dieses Etwas besitzt eine gewisse Objektivität und Unveränderbarkeit und
Lernen ist eine intellektuelle Angelegenheit, bei der dem Körper (inkl. Emotionen) und dem sozia-
len Umfeld bestenfalls die Rolle des Motivators zukommt.
Polemisch ausgedrückt, macht ein solcher Wissensbegriff Lehrende zu Bereitstellenden von Information,
während Lernende zum beliebigen Container für Wissensobjekte werden. Selbstverständlich gehen wir
nicht davon aus, dass Lehrende die skizzierte Position ernsthaft vertreten, es ist uns aber wichtig herauszu-
arbeiten, was in der Computermetapher für menschliches Denken implizit mitschwingt, das heißt, welche
Fragen und Schlussfolgerungen sie fördert und wo sie blinde Flecken hat. Gerade im Bereich des Lehrens
und Lernens mit Technologien – also unter Einsatz eines Computers – ist es besonders verführerisch, Wis-
sen als Objekt zu behandeln, wie im Konzept von Lernobjekten. Im Bereich des E-Learning findet es sich
in mediendidaktischen Konzepten wieder, die von einer De- und Rekontextualisierbarkeit von Wissen
(zum Beispiel in Swertz, 2004) oder, wie das Microlearning (Hug, 2005) auf Wissensbrocken basieren. Wir
möchten das nicht als Verurteilung verstanden wissen, als Elemente eines umfassenderen didaktischen
Konzepts können sie durchaus sinnvoll eingesetzt werden. Was wir herausarbeiten möchten ist, wie eine
Metapher – nämlich menschliche Kognition funktioniert wie ein Computer – und die Verwendung des
Computers konzeptuell nahtlos zusammengehen und eine Allianz bilden, die einen naiven Wissensbegriff
transportiert und eine Didaktik des Wissenstransfers nahelegt.
L3T
Lehrbuch für Lernen und Lehren mit Technologien
- Titel
- L3T
- Untertitel
- Lehrbuch für Lernen und Lehren mit Technologien
- Herausgeber
- Martin Ebner
- Sandra Schön
- Verlag
- epubli GmbH
- Ort
- Berlin
- Datum
- 2013
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-SA 3.0
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 594
- Schlagwörter
- L3T, online
- Kategorie
- Lehrbücher
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung 1
- Einführung 11
- Von der Kreidetafel zum Tablet 27
- Die Geschichte des WWW 39
- Hypertext 51
- Geschichte des Fernunterrichts 65
- Informationssysteme 75
- Webtechnologien 89
- Multimediale und interaktive Materialien 99
- Standards für Lehr- und Lerntechnologien 109
- Human-Computer-Interaction 117
- Didaktisches Handeln 127
- Medienpädagogik 139
- Systeme im Einsatz 147
- Kommunikation und Moderation 157
- Forschungszugänge und -methoden 167
- Planung und Organisation 177
- Literatur und Information 185
- Die „Netzgeneration“ 201
- Multimedia und Gedächtnis 209
- Mobiles und ubiquitäres Lernen 217
- Prüfen mit Computer und Internet 227
- Blogging und Microblogging 239
- Vom Online-Skriptum zum E-Book 249
- Educasting 257
- Game-Based Learning 267
- Einsatz kollaborativer Werkzeuge 277
- Offene und partizipative Lernkonzepte 287
- Qualitätssicherung im E-Learning 301
- Offene Lehr- und Forschungsressourcen 311
- Lernen mit Videokonferenzen 319
- Simulationen und simulierte Welten 327
- Barrierefreiheit 343
- Genderforschung 355
- Zukunftsforschung 363
- Kognitionswissenschaft 373
- Diversität und Spaltung 387
- Lern-Service-Engineering 397
- Medientheorien 405
- Das Gesammelte interpretieren 413
- Wissensmanagement 421
- Sieht gut aus 427
- Urheberrecht & Co. in der Hochschullehre 435
- Interessen und Kompetenzen fördern 445
- Spielend Lernen im Kindergarten 455
- Technologieeinsatz in der Schule 465
- Technologie in der Hochschullehre 475
- Fernstudium an Hochschulen 483
- Webbasiertes Lernen in Unternehmen 489
- E-Learning in Organisationen 497
- Erwachsenen- und Weiterbildung 507
- Freie Online-Angebote für Selbstlernende 515
- Sozialarbeit 525
- Human- und Tiermedizin 531
- Online-Labore 539
- Mehr als eine Rechenmaschine 547
- Bildungstechnologien im Sport 557
- Fremdsprachen im Schulunterricht 569