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Im Bereich des Lehrens und Lernens ist eine solche Betrachtungsweise eine gute Basis, um Lernprozes-
se als situiert zu konzeptualisieren. In ihrem Buch „Situated Learning“ analysieren Lave und Wenger
(1991) außerschulische Lernprozesse, wie sie beispielsweise in einer Lehre, bei der Ausbildung zum Steu-
ermannsmaat auf Schiffen (ein Beispiel von Hutchins) oder bei den Anonymen Alkoholikern stattfinden,
als Lernprozesse in denen sich Person, Handlung und Welt gegenseitig konstituieren. Ihr Augenmerk ist da-
bei weniger auf Artefakte, als auf die sozialen und organisationalen Strukturen gerichtet, die dazu führen,
dass Neulinge in einem Wissensgebiet nicht einfach nur Fakten lernen, sondern in eine Handlungsgemein-
schaft (community of practice, Wenger, 1998) eintreten und mit zunehmender Expertise auch eine neue
Identität entwickeln. Unter welchen Bedingungen communities of practice nicht ausschließlich im physi-
schen Raum, sondern als virtual communities (Englisch für „virtuelle Gemeinschaften“), im Internet exis-
tieren können, zeigt Powazek (2001).
Was sind die Konsequenzen einer verkörperten und situierten Kognitionswissenschaft für unseren Wissens-
begriff? Vom leicht fassbaren, weil formalisierbaren Wissensbegriff der klassischen Kognitionswissen-
schaft ist nicht viel übrig geblieben. Stattdessen ist die Rede von verteilter Repräsentation, Interaktion und
Koppelung mit der Umwelt, Verwendung von Artefakten, um kognitiven Ballast zu reduzieren, usw. Was
davon ist „Wissen“ – was sind für das kognitive System interne und was sind externe Strukturen?
Externalisiertes Wissen als Entität, das einen Teil der Welt beschreibt, gibt es in der Form nicht; es han-
delt sich hier nicht um „Wissen“ im alltagssprachlichen Sinn, sondern um ein an sich bedeutungsloses Arte-
fakt, dessen Bedeutung in einem fortlaufenden interaktiven Ausverhandlungsprozess zwischen den teilneh-
menden kognitiven Systemen bzw. deren internen repräsentationalen Strukturen/-prozessen erst entsteht.
Das bedeutet auch, dass an die Stelle des Begriffs von Wissen als statischen Gegenstand, der wahr oder
falsch sein kann, das Konzept eines dynamischen zyklischen Prozesses getreten ist, dessen Entwicklungs-
stufen sich in immer neuen Artefakten niederschlagen, die ihrerseits neue Interaktionsmöglichkeiten anbie-
ten, welche wiederum eine Veränderung der internen Strukturen und Handlungsmuster hervorrufen.
Das geht insofern mit einem konstruktivistischen Denken Hand in Hand, als das Artefakt an sich bedeu-
tungslos ist. Der Fokus liegt hier jedoch weniger auf der individuellen Kognition und Konstruktion der
„Welt im Kopf“ als auf den Prozessen und Strukturen, die dazu führen, dass wir durch Kommunikation zu
einer Einigung auf „gültiges Wissen“ — im Sinne von sozial verhandelt — kommen. Letztlich befähigt uns
das zum Eintreten in eine „geteilte Welt“, die wir in Wissensprozessen fortwährend erzeugen.
Nimmt man diesen Ansatz ernst, hat das auch Implikationen für das Verständnis von Lernen und Leh-
ren: Etwas gelernt zu haben, beschränkt sich nicht auf die korrekte Reproduktion einer Beschreibung eines
Teils der Welt (Faktenwissen). Relationen zwischen diesen Beschreibungen, Verhaltensstrategien zur er-
folgreichen Umweltbewältigung und letztendlich die Fähigkeit zur Teilnahme an Wissensprozessen sowie
deren Reflexion sind ebenso unabdingbar, um „etwas zu wissen“.
L3T
Lehrbuch für Lernen und Lehren mit Technologien
- Titel
- L3T
- Untertitel
- Lehrbuch für Lernen und Lehren mit Technologien
- Herausgeber
- Martin Ebner
- Sandra Schön
- Verlag
- epubli GmbH
- Ort
- Berlin
- Datum
- 2013
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-SA 3.0
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 594
- Schlagwörter
- L3T, online
- Kategorie
- Lehrbücher
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung 1
- Einführung 11
- Von der Kreidetafel zum Tablet 27
- Die Geschichte des WWW 39
- Hypertext 51
- Geschichte des Fernunterrichts 65
- Informationssysteme 75
- Webtechnologien 89
- Multimediale und interaktive Materialien 99
- Standards für Lehr- und Lerntechnologien 109
- Human-Computer-Interaction 117
- Didaktisches Handeln 127
- Medienpädagogik 139
- Systeme im Einsatz 147
- Kommunikation und Moderation 157
- Forschungszugänge und -methoden 167
- Planung und Organisation 177
- Literatur und Information 185
- Die „Netzgeneration“ 201
- Multimedia und Gedächtnis 209
- Mobiles und ubiquitäres Lernen 217
- Prüfen mit Computer und Internet 227
- Blogging und Microblogging 239
- Vom Online-Skriptum zum E-Book 249
- Educasting 257
- Game-Based Learning 267
- Einsatz kollaborativer Werkzeuge 277
- Offene und partizipative Lernkonzepte 287
- Qualitätssicherung im E-Learning 301
- Offene Lehr- und Forschungsressourcen 311
- Lernen mit Videokonferenzen 319
- Simulationen und simulierte Welten 327
- Barrierefreiheit 343
- Genderforschung 355
- Zukunftsforschung 363
- Kognitionswissenschaft 373
- Diversität und Spaltung 387
- Lern-Service-Engineering 397
- Medientheorien 405
- Das Gesammelte interpretieren 413
- Wissensmanagement 421
- Sieht gut aus 427
- Urheberrecht & Co. in der Hochschullehre 435
- Interessen und Kompetenzen fördern 445
- Spielend Lernen im Kindergarten 455
- Technologieeinsatz in der Schule 465
- Technologie in der Hochschullehre 475
- Fernstudium an Hochschulen 483
- Webbasiertes Lernen in Unternehmen 489
- E-Learning in Organisationen 497
- Erwachsenen- und Weiterbildung 507
- Freie Online-Angebote für Selbstlernende 515
- Sozialarbeit 525
- Human- und Tiermedizin 531
- Online-Labore 539
- Mehr als eine Rechenmaschine 547
- Bildungstechnologien im Sport 557
- Fremdsprachen im Schulunterricht 569